Mehr Chefinnen braucht das Land
Zahlenmäßig sind Frauen unterlegen - besonders, wenn es darum geht, Führungsposten zu bekleiden.
Offen und fortschrittlich - so will das bevölkerungsreichste Land der Europäischen Union sein. Frauen sind seit 70 Jahren per Gesetz gleichberechtigt und sollen auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen haben. An der Spitze der deutschen Regierung steht seit 13 Jahren mit Angela Merkel eine Frau.
Da sollte man eigentlich meinen, in Deutschland würden immer mehr Frauen in Führungspositionen vorrücken. Ist aber nicht so: Auch 2018 ist nur knapp jeder dritte Chefposten von einer Frau besetzt - der Anteil ist seit Jahren weitgehend konstant. Warum schaffen es aber weibliche Führungskräfte so selten an die Spitze von Unternehmen, Parteien oder Medien?
Sie wollen nicht, sagen die einen. Das sei ihnen zu stressig, Kinderbetreuung und ein Teilzeitjob reichten vielen Frauen aus.
Sie können nicht, klagen die anderen - wegen der sogenannten "gläsernen Decke", einer unsichtbaren Barriere, die Frauen am Aufstieg hindert. Und wegen der Männer. Eine Bestandsaufnahme.
Frauen in Führungspositionen in der Politik und im öffentlichen Dienst:
Angela Merkel beim Deutschlandtag der Jungen Union (JU) in Kiel. Der geschäftsführende Bundesvorstand ist ihr offenbar nicht weiblich genug: "Schön männlich. Aber 50 Prozent des Volkes fehlen", sagt sie. Denn von den 16 Bundesvorstandsmitgliedern sind nur fünf Frauen. "Frauen bereichern das Leben, nicht nur im Privaten, auch in der Politik. Sie wissen gar nicht, was Ihnen entgeht", fährt sie fort. Wenngleich Angela Merkel hier das Geschlechterverhältnis des Bundesvorstandes der Jungen Union kritisiert, stand die Gleichstellungspolitik in den bisher 13 Jahren ihrer Kanzlerschaft doch nie im Fokus. Sie selbst bezeichnet sich auch nicht als Feministin. Das hat sie beim Women20-Gipfel 2017 deutlich gemacht. Die Förderung von Frauen oder eine bessere Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf gehörten nie zu Merkels Themen.
"Zeit Online" hat in einer ausführlichen Recherche gerade offen gelegt, wie schwer es für Frauen in der Politik ist, in Führungspositionen zu kommen. Nur Sechs der 15 Ministerien wurden an Frauen vergeben, die Ressorts werden insgesamt von Männern dominiert. Allein im Bundesinnenministerium von Horst Seehofer ist kein einziger Staatssekretärsposten an eine Frau gegangen - sondern an acht Männer. Und auch bei den Bundesbehörden sieht es nach Angaben von "Zeit Online" nicht besser aus. Lediglich ein Viertel wird von Frauen geleitet.
2001 wurde zwar bereits ein Gleichstellungsgesetz für die Bundesverwaltung verabschiedet, dessen Leitprinzip lautet, Frauen und Männer seien in der Bundesverwaltung gleichgestellt. Doch das ist bis heute nicht der Fall. Daran trägt Angela Merkel nicht die alleinige Schuld. Doch Gesetze, um die Situation von Frauen zum Beispiel in Unternehmen zu verbessern, hat sie erst nach viel Widerstand 2015 auf den Weg gebracht. Dabei können Gesetze den Wandel anstoßen.
Frauen in Führungspositionen in Unternehmen:
Im Frühjahr 2015 kam die Frauenquote für Aufsichtsräte in Unternehmen, also zehn Jahre nachdem Merkel Kanzlerin wurde. Dabei wollte Ursula von der Leyen, damals Bundesarbeitsministerin, die Frauenquote schon 2013 auf den Weg bringen, weil ihr die "Lippenbekenntnisse" der Wirtschaft nicht mehr ausreichten. Doch Merkel stoppte sie.
Seit Anfang 2016 müssen also die etwa 100 größten börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen in Deutschland mindestens 30 Prozent der Posten in ihren Kontrollgremien mit Frauen besetzen. "Alle Unternehmen, die dazu verpflichtet wurden, haben diese Pflicht auch eingehalten", sagt Anja Weusthoff vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Doch auch dort sei die Machtverteilung in der Regel noch häufig zugunsten der männlichen Aufsichtsratsmitglieder ausgeprägt, kritisierte Jella Benner-Heinacher, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, kürzlich in Frankfurt. In den Vorständen, die gewissermaßen die erste Ebene unterhalb des Aufsichtsrats bilden, sind immer noch so gut wie nie Frauen vertreten.
Einer Studie der schwedisch-deutschen Allbright-Stiftung zufolge ist in 110 von 160 deutschen Börsenunternehmen keine Frau im Vorstand. Von 697 Vorstandsmitgliedern sind lediglich 56 Frauen. Die Geschlechterquote gelte ja nur für die mitbestimmten und börsennotierten Aufsichtsräte, daher funktioniere es in den Vorständen nicht, sagte Weusthoff. Dabei belegen Experten immer wieder, wie wichtig ein höherer Frauenanteil in der Konzernführung ist. Einige Studien kommen zu dem Ergebnis, dass dadurch die Motivation speziell von Mitarbeiterinnen erhöht wird und der Unternehmenserfolg insgesamt steigt.
Viele Unternehmen schreiben sich Frauenförderung zwar werbewirksam auf die Fahnen. Doch wenn es drauf ankommt, scheint sich so mancher Firmenchef wegzuducken. Gesetzlicher Druck scheint eine Möglichkeit zu sein, dagegen vorzugehen.
Frauen in Führungspositionen in den Medien:
Medien, Verlage und PR zählen sich selber gerne zu den modernen Bereichen und immer mehr Frauen steigen sowohl in den Journalismus als auch in die PR und das Verlagswesen ein. Allerdings ist das weibliche Spitzenpersonal auch hier deutlich unterrepräsentiert. Ein Blick auf die öffentlich-rechtlichen Sender der Bundesrepublik: Nur zwei der zwölf Rundfunkanstalten in Deutschland werden von Intendantinnen geführt - der MDR und der RBB. Wie es in den weiteren Hierarchie-Ebenen und bei den großen Privatsendern aussieht, untersucht die Vereinigung ProQuote Medien derzeit in einem ausführlichen Gender-Monitoring bis November 2018. Auf Chefredakteursebene bei Regionalzeitungen waren Frauen in den vergangenen Jahren so gut wie gar nicht vertreten. In der PR und Unternehmenskommunikation wird von rund 70 Prozent Männern in Leitungsfunktionen ausgegangen.