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Kapitalismus neu denken

In Davos reden Expertinnen und Experten aus Politik und Unternehmen über eine neue Wirtschaftsform. Professor Jens Südekum erklärt, worum es geht.

15.01.2020
Vorbereitungen für eine neue Wirtschaftsform
Vorbereitungen für eine neue Wirtschaftsform © picture alliance/KEYSTONE

Herr Professor Südekum, auf der 50. Jahrestagung des World Economic Forum soll das Zukunftsmodell „Stakeholder Capitalism“ auf den Weg gebracht werden. Können Sie den Begriff kurz erklären?

Der Ökonom Milton Friedman hat gesagt, die einzige Aufgabe von Unternehmen sei es, ihre Profite zu maximieren. Dann sei auch der Gesellschaft insgesamt geholfen. Diese Betrachtung hat sich als zu naiv erwiesen. Natürlich stehen die Interessen der Eigentümer – der „Shareholder“ – weiterhin sehr weit oben in der Prioritätenliste. Aber moderne Unternehmen müssen heute mehr leisten. Sie müssen auch die Interessen anderer Gruppen – zum Beispiel der Beschäftigten, der kritischen Öffentlichkeit, nicht zuletzt die der Umwelt, also der „Stakeholder“ – mitdenken. Auch wenn das im Einzelfall geringere betriebswirtschaftliche Profite mit sich bringt.

Ökonomie-Professor Jens Südekum
Ökonomie-Professor Jens Südekum © © IW Köln

Bislang unterschied man zwischen Shareholder-Kapitalismus und Staatskapitalismus. Wie grenzt sich der Stakeholder-Kapitalismus von den beiden Formen ab?

Beim ersten Modell ist alles den Interessen der Eigentümer untergeordnet, beim zweiten greift der Staat an allen Stellen lenkend ein. Das Stakeholder-Modell ist breiter aufgestellt. Es setzt auf marktwirtschaftliche Prozesse. Aber es sieht Unternehmen in einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. Das hat heute eine besondere Bedeutung, weil Fachkräftemangel das zentrale Thema sein wird oder schon ist. Top ausgebildete Spezialistinnen und Spezialisten erwarten heute aber mehr von ihren Arbeitgebern als bloß gute Löhne. Viele suchen nach einer Mission, einer sinnstiftenden Tätigkeit. Darauf müssen Unternehmen reagieren. Ansonsten bekommen sie auch Probleme mit einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit, die heute ebenfalls mehr erwartet als bloß funktionale Produkte zu niedrigen Preisen.

Die Ökologie blieb lange Zeit außen vor. Das ändert sich gerade.
Ökonomie-Professor Jens Südekum

Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung in Deutschland?

Der rheinische Kapitalismus in Deutschland hat in den 1950er-Jahren früh erkannt, dass reiner „Shareholder Value“ zu kurz greift. Deutschland hat nicht nur auf sozialen Ausgleich gesetzt, sondern auch auf Mitarbeiterbeteiligung und Mitbestimmung. Aber die Ökologie blieb lange Zeit außen vor. Das ändert sich gerade. Viele Unternehmen haben erkannt, dass sie langfristig nur fortbestehen werden, wenn sie auf grünes Wachstum und klimaneutrale Produktion setzen.

Der Entwurf eines Stakeholder-Kapitalismus ist das eine, die Umsetzung das andere. Woran müssen sich Unternehmen in Zukunft messen lassen?

Unternehmen müssen sich ständig kritisch hinterfragen: Biete ich ein attraktives Umfeld für die besten Talente? Steht mein unternehmerisches Tun im Einklang mit den Vorstellungen der Gesellschaft und damit meiner kritischen Kundschaft? Langfristig wird ein Unternehmen nur erfolgreich sein, wenn es diese sozialen und ökologischen Aspekte mitdenkt.

Interview: Martin Orth

Prof. Dr. Jens Südekum lehrt internationale Volkswirtschaft am Institut für Wettbewerbsökonomie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wählte ihn in ihrem 2019er-Ranking zu einem der 20 einflussreichsten deutschen Ökonomen.

© www.deutschland.de

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