Chatbot als Uni-Mentorin
Die digitale Assistentin Melinda könnte Studierende bald bei der Organisation ihres Studiums unterstützen – und sogar Stress abbauen.
Studierende stehen in Zeiten von Corona vor besonderen Herausforderungen: Laptop und Online-Studium statt Lerngruppe und Campus – das erschwert vielen die ohnehin anspruchsvolle Organisation des eigenen Lernprogramms. Persönliche Kontakte zu Lehrenden, in denen Fragen schnell beantwortet oder Übungsaufgaben an das Lernniveau angepasst werden können, sind selten geworden. Auch wenn die Hochschulen mit großem Engagement auf die Corona-Krise reagiert und ein digitales Semester ausgerufen haben, bleibt das Lernen im virtuellen Raum eine Herausforderung.
Interaktive digitale Tools könnten helfen. Sie bieten Studierenden Hilfestellungen an, wenn kein Tutor erreichbar ist. Zu solchen Systemen wird schon seit einiger Zeit geforscht, zum Beispiel an der Universität zu Lübeck. Melden sich dort Studierende bei der Onlinelernplattform Moodle an, soll ihnen bald „Melinda“ beratend zur Seite stehen. Melinda ist ein Chatbot und beantwortet alle Fragen rund um die Organisation des Studiums. Sie hilft dabei, geeignetes Lernmaterial zu finden oder Übungsaufgaben zu lösen. Und mehr: Die digitale Assistentin wird selbst aktiv, sucht das Gespräch mit ihrem menschlichen Gegenüber und leitet daraus dessen Stresslevel ab.
Chatbot mit psychologischer Kompetenz
Diese „Empathieableitung“, wie Amir Madany Mamlouk die quasi-psychologische Kompetenz des Chatprogramms nennt, ist sogar das eigentliche Ziel der Interaktion. Seit 2017 arbeitet der Neuro- und Bioinformatiker der Universität zu Lübeck zusammen mit der Ärztin Anne Herrmann-Werner vom Universitätsklinikum Tübingen an der digitalen Begleiterin Melinda. „Wir wollten uns abgrenzen von der Art und Weise, wie Daten von bisherigen Ansätzen genutzt werden – weg von der zentralen Datensammlung, hin zu einer völlig neuen, individuellen Betreuung der Studierenden“, erklärt er.
Im Augenblick werde über sogenannte Learning Analytics relativ gut ermittelt, wie zum Beispiel welcher Kurs von den Studierenden angenommen werde. Auf die konkrete Situation eines Individuums hätte man aber keinen Zugriff. „Melinda soll die Studierenden so individuell betreuen können wie ein Mentor und den Lehrenden ein genaues Feedback über ihre Veranstaltungen ermöglichen.“ Mit persönlichen Daten wird der Chatbot sparsam umgehen.
Ziel ist es dabei nicht, psychologische Beratungseinrichtungen zu ersetzen. Melinda soll diese Stellen vielmehr entlasten, sodass mehr Zeit für die direkte Unterstützung von Studierenden bleibt. Bemerkt Melinda ein hohes Stresslevel, weist sie Studierende auf professionelle Angebote hin. Dabei geht es besonders um diejenigen Studierenden, die auf konventionellen Wegen sonst nicht oder nur schwierig erreicht werden: „Melinda ersetzt keine Menschen“, erklärt Madany. „Sie soll dort ein Ansprechpartner werden, wo es nicht möglich ist, sich rund um die Uhr um die Studierenden zu kümmern: Beim Arbeiten in den digitalen Lernumgebungen.“ Gleichzeitig kann Melinda Lehrenden zurückmelden, dass die Stressbelastung vieler Studierender in dem Kurs sehr hoch liege.
Virtuelle Lehre als Entwicklungsbooster
Dass es grundsätzlich möglich ist, über digitale Chatprogramme auf den mentalen Zustand von Studierenden zu schließen, beweisen Projekte wie der Psychotherapie-Bot Woebot, den ein Team aus Psychologen und Computerexperten der US-amerikanischen Stanford University entwickelt hat. Er wird erfolgreich dabei eingesetzt, Studentinnen und Studenten in psychischen Stresssituationen zu begleiten.
Melinda soll noch mehr können: „Wir möchten den Bot so gut mit Wissen ausstatten, dass er als Studienratgeber perfekt funktioniert und die Studierenden ihn intensiv nutzen“, sagt Amir Madany Mamlouk. Dabei lerne Melinda so viel über die persönliche Situation der Studierenden, dass sie ihnen falls nötig auch psychologische Hilfsangebote vermitteln könne.
Hatten die Corona-Einschränkungen die Testphase mit Melinda im Labor anfangs gebremst, so hat die Verlegung der Lehre in den virtuellen Raum das Projekt letztlich sogar vorangebracht: „Online-Lernen hat sich vollkommen etabliert. Plötzlich können wir genau auf der hohen Online-Interaktion aufbauen, die wir uns für das Projekt immer gewünscht hatten“, sagt Amir Madany Mamlouk.