Wer bekommt zuerst den Impfstoff?
Die Welt hofft auf einen Corona-Impfstoff. Aber wer wird geimpft, wenn es ihn gibt? Professorin Ilona Kickbusch hat eine Lösung.
Frau Professor Kickbusch, die ganze Welt hofft auf einen Impfstoff gegen das Coronavirus. Aber wenn er erst einmal da ist, stellt sich die zweite Frage: Wer bekommt ihn zuerst?
Wir werden globale Richtlinien und nationale Umsetzungsgesetze benötigen. Die Weltgesundheitsorganisation hat dazu eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die an Vorschlägen und ethischen Richtlinien arbeitet. Diese könnten von den Mitgliedsländern verabschiedet werden. Dies wird schwieriger sein als für die Impfstoffe, die derzeit den Entwicklungsländern zugänglich gemacht werden, weil auch ein hoher Zugangsdruck in den reichen Ländern besteht.
VN-Generalsekretär Guterres hat gefordert, der mögliche Impfstoff müsse ein „öffentliches Gut“ sein ...
Wenn es gelingt – und das wäre historisch – den Impfstoff als ein „öffentliches Gut“ zu betrachten, werden gemeinsam akzeptierte Richtlinien besonders wichtig. Öffentliches Gut heißt ja, dass die Weltgemeinschaft für die Kosten der Entwicklung und der gerechten Verteilung aufkommt und dass daraus kein Profit gezogen werden kann. Man könnte den Impfstoff also der Weltgesundheitsorganisation oder den Vereinten Nationen im Rahmen eines sogenannten „Patentpools“ zur Verfügung stellen.
Wird der Impfstoff überhaupt in ausreichenden Mengen überall in kurzer Zeit zur Verfügung stehen?
Das wird sehr schwierig sein, denn wir reden von fünf Milliarden Dosen, die nötig wären, den Produktionskapazitäten, den Glasbehältern, Lagermöglichkeiten, Lieferketten und so weiter. Derzeit wird stark für dezentrale Produktionsstätten argumentiert, auch weil man bestehende Produktionsstätten nicht überlasten und die Produktion von anderen Impfstoffen nicht gefährden will. Deshalb müssen die Firmen und die Produzenten in die Diskussion von Anfang an mit einbezogen werden. Wir müssen gemeinsam das beste Modell finden, so dass nach der Polioimpfung die Covid-19-Impfung das zweite große „People‘s Vaccine“ werden kann.
Wie könnte man sicherstellen, dass nicht ausgerechnet wieder die ärmsten Länder benachteiligt werden?
Man braucht Strategien für die Länder und Gegenden, in denen es kein verlässliches Gesundheitssystem gibt, und für vulnerable Gruppen wie Migranten, Asylsuchende und Flüchtlinge. Wir haben Organisationen, die Erfahrung mit der Verteilung haben: UNICEF, WFP, GAVI, der Globale Fond, das Polioprogramm. Auch eine globale Beschaffungsagentur ist ins Spiel gebracht worden. Verbindliche Regeln gibt es noch nicht, aber es gibt Elemente wie das TRIPs Abkommen, das den Mitgliedsstaaten erlaubt, das Patentrecht zu umgehen, um Krisen im öffentlichen Gesundheitswesen zu bewältigen. Und es gibt Spendenmodelle: Eine Firma hat gesagt, sie würde die erste Milliarde Dosen spenden.
Ilona Kickbusch ist weltweit für ihren Beitrag zur Gesundheitsförderung und zur globalen Gesundheit anerkannt. Seit 2008 leitet sie das globale Gesundheitsprogramm am Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung in Genf.
Interview: Martin Orth
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