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„Wichtiges Zeichen der Annäherung“

Ein neues Stipendienprogramm des DAAD fördert die Forschung zur deutschen Kolonialgeschichte.

Benjamin Haerdle, 06.12.2022
Herero-Frauen in Namibia
Herero-Frauen in Namibia © picture alliance/dpa

Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte war bislang in der deutschen Forschung unterrepräsentiert: Vieles von dem, was sich vor mehr als 100 Jahren in den deutschen Kolonien abspielte, ist nur wenig erforscht. Bedarf gäbe es genug, denn bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 hielten die Truppen des Deutschen Kaiserreichs unter anderem das heutige Namibia, Kamerun, Togo, Tansania, Teile Ghanas, die Stadt Qingdao in China sowie mehrere Inseln im Westpazifik und in Mikronesien besetzt – zum Teil mit schrecklichen Folgen wie dem Völkermord an Herero und Nama in Nambia in den Jahren 1904 und 1905. Das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) initiierte Stipendienprogramm „German Colonial Rule“ (GCR), vom Auswärtige Amt mit 1,2 Millionen Euro finanziert, will diese Lücke schließen. So können bis 2026 neun Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus an deutschen Universitäten zur deutschen Kolonialvergangenheit und deren Auswirkungen promovieren.

Die Stipendiatin Gloria Unotjari Tjitombo
Die Stipendiatin Gloria Unotjari Tjitombo © privat

Kolonialgeschichte neu schreiben

Eine der Stipendiatinnen ist die aus Namibia stammende Gloria Unotjari Tjitombo, die an der Universität zu Köln promoviert. „Ich sehe das Programm als Chance, die namibische Geschichte aus namibischer Sicht neu zu schreiben“, sagt sie. Dies sei eine Gelegenheit, die Stimmen derjenigen einzufangen, die tatsächlich betroffen waren. Als Namibierin falle es ihr leichter, die Menschen und ihre Geschichte zu verstehen. Die Doktorandin, die zuvor ihren Master an der University of Namibia machte, beschäftigt sich mit dem Arbeitsregime in ihrer Heimat – und das in Form einer Langzeitstudie von der deutschen Kolonialherrschaft bis zum post-unabhängigen Namibia. „Arbeit war einer der treibenden Faktoren der deutschen Kolonialgeschichte in Namibia“, sagt sie. Gloria Unotjari Tjitombo will nun die Geheimnisse und die Komplexität dieses vielschichtigen Themas in Namibia erforschen – und so als Soziologin eine neue Perspektive auf die Arbeitswelt einbringen, die, wie sie sagt, in den vergangenen 20 Jahren gefehlt hat.

Der Stipendiat Christian Lemuel Magaling
Der Stipendiat Christian Lemuel Magaling © privat

Breites Themenspektrum der Forschungsarbeiten

Insgesamt ist die Vielfalt der Forschungsthemen, denen sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten widmen, groß. Sie reichen von Biografien über Personen, die damals in den Kolonien als Direktoren oder Staatssekretäre in der Kolonialabteilung oder in anderer gehobener Funktion für das Deutsche Kaiserreich arbeiteten, über Untersuchungen zur Rolle deutscher Verwaltungsbehörden in den Bereichen Recht, Handel oder Militär bis zu Vergleichen zur Kolonialpolitik verschiedener Länder. Christian Lemuel Magaling hat an der der University of the Philippines seinen Master gemacht und promoviert nun an der Universität Bonn: „Mein Ziel ist, die koloniale Verstrickung Deutschlands in Südostasien und im Pazifik während der kaiserlichen deutschen Herrschaft zu untersuchen“, sagt er. Konkret bedeutet das, dass er die Entscheidung des Kaisers, sich in die Kolonialpolitik dieser Regionen einzumischen, rekonstruieren will. Dafür analysiert er Briefe, Richtlinien und wissenschaftliche Studien sowie den Widerstand der einheimischen Intellektuellen.

Historische und moralische Verantwortung übernehmen

DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee sieht in den Projekten der Forschenden aus den ehemaligen Kolonialregionen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen an den deutschen Universitäten ein wichtiges Zeichen weltweiter Annäherung. „Damit tragen wir als DAAD dazu bei, historische und moralische Verantwortung für das entstandene Leid der Menschen in vielen Ländern Afrikas und Asiens zu übernehmen“, sagte er.

Wir sind entschlossen, die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit voranzutreiben.
Katja Keul, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt

Ähnlich argumentiert auch Katja Keul, die Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt. „Als Bundesregierung sind wir entschlossen, die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit voranzutreiben“, sagt sie. Dabei spiele Forschung eine herausragende Rolle. „Wir wissen noch viel zu wenig über die Rolle deutscher Behörden während der Kolonialzeit. Uns ist es wichtig, dieses Kapitel unserer Geschichte gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Ländern mit Kolonialgeschichte zu erforschen“, betont sie.

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Internationaler Austausch

Der philippinische Doktorand Christian Lemuel Magaling freut sich derweil, dass ihm das Stipendium neue Forschungsfreiräume ermöglicht. So erhält er für seine Recherche Zugang zu Archiven und Bibliotheken in Deutschland. Der Aufenthalt an der Universität Bonn hilft ihm auch, neue Kontakte zu knüpfen und sein Netzwerk zu erweitern. „Es ist ungewöhnlich, dass wir Wissenschaftler die Kolonialforschung in verschiedenen Regionen der Welt vergleichen können, denn jedes Kolonialregime hatte seine eigene Art, Widerstand zu verwalten, zu kontrollieren und zu unterdrücken“, sagt er. Dass er darüber mit Kolleginnen und Kollegen aus Afrika diskutieren könne, sei normalerweise selten möglich. Das DAAD-Stipendium ermöglicht ihm diesen Austausch in den kommenden Jahren.

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