Gemeinsam gegen Pandemien
Das neue Forschungszentrum GLACIER vernetzt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und Lateinamerika.
„Es geht uns um eine nachhaltige, weltweite Bekämpfung und Prävention von Epidemien mit dem ‚One Health‘-Ansatz. Das bedeutet: Ganzheitlich und interdisziplinär mit Fokus auf Lateinamerika die globale Gesundheit fördern und neuen Risiken vorbeugen“, sagt Barbara Seliger, Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie der Universitätsmedizin Halle und Mitglied der Projektleitung von GLACIER (German-Latin American Centre of Infection & Epidemiology Research and Training). Das deutsch-lateinamerikanische Gesundheitszentrum ist ein neuer, breit angelegter Zusammenschluss deutscher und lateinamerikanischer Forscherinnen und Forscher.
Dem Projektstart ging eine gewaltige Koordinationsleistung voraus: GLACIER wird in Deutschland gemeinsam geführt vom Institut für Medizinische Immunologie der Universitätsmedizin Halle (Saale), dem Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie (IPB) und dem Institut für Virologie der Charité (Universitätsmedizin Berlin). Dazu kommen internationale Partner, vor allem in Kuba und Mexiko. „Wir haben erstklassige lateinamerikanische Kollegen im Netzwerk“, sagt Seliger, „etwa in Kuba: Daniel Garcia Rivera war an der Entwicklung eines Covid-Impfstoffs beteiligt.“ Unterstützt wird GLACIER vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).
„Die Forschungsstruktur in Lateinamerika soll verbessert werden, wobei insbesondere Antiinfektiva und neue Impfstoffe gegen Infektionserkrankungen hergestellt sowie Diagnostik und Überwachung von Pandemien etabliert werden sollen. Deshalb planen wir zum Beispiel, an Universitäten in Mexiko-Stadt und Havanna moderne Labore zu etablieren“, sagt Seliger, die selbst Immunologin und Spezialistin für das immunologische Monitoring von Infektionserkrankungen und Entwicklung von Immuntherapien ist. Auch der ungleiche Zugang zu Impfungen und Diagnostik von Infektionserkrankungen sowie regionale Aspekte gehören zum Themenspektrum des Gesundheitszentrums, erklärt Seliger: „Unser Anliegen ist, dass alle Länder der Welt Zugang zu Impfstoffen haben, und zwar zu einem vernünftigen Preis. Und dass Impfstoffe entwickelt werden, die leicht zu verabreichen sind und die nicht bei minus 150 Grad gelagert werden müssen, denn das ist nicht überall möglich.“
Lateinamerika wurde in den vergangenen Monaten besonders hart von der Pandemie getroffen, mit Engpässen in der Gesundheitsversorgung, Hunderttausenden Toten und der Entstehung neuer Virus-Mutationen. Um auch den Einfluss gesellschaftlicher Faktoren einbeziehen zu können, sind sowohl in Deutschland als auch in Lateinamerika Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler am GLACIER-Gesundheitszentrum beteiligt. So forscht etwa an der Universidad de Costa Rica Juliana Martínez Franzoni zu sozialen und politischen Aspekten in der Pandemie: „Epidemien und Pandemien werden immer auch durch soziale und politische Dimensionen geprägt. Covid-19 hat dies sehr deutlich gemacht.“
Einfluss auf strukturelle Ungleichheiten
Ein Schwerpunktthema von Martínez Franzonis Forschung ist die soziale Ungleichheit. „Wir sind weit davon entfernt, alle im selben Boot zu sitzen. Wir befinden uns zwar im selben Meer, aber im Kontext tiefgreifender Ungleichheiten erleben einige Menschen diese Pandemie auf einer Yacht, andere auf einem Boot, wieder andere haben nicht einmal Schwimmwesten.“ Dabei gehe es auch um den Kollaps von Arbeitsmärkten, den Zugang zu Sozialpolitik und um historische Dimensionen. Es stelle sich die Frage, „ob die Pandemie die Möglichkeit schafft, einige der strukturellen Ungleichheiten zu korrigieren“. Die Professorin will im Rahmen von GLACIER auch politische Dynamiken und öffentliche Impfpolitiken in Zentralamerika untersuchen, in enger Abstimmung mit Bert Hoffmann vom GIGA Institut in Hamburg.
Das deutsch-lateinamerikanische Gesundheitszentrum will alle Aspekte, die für eine nachhaltige Epidemiebekämpfung und für die Gesundheitsvorsorge notwendig sind, berücksichtigen. Deshalb sollen auch Behörden wie beispielsweise Gesundheitsämter einbezogen werden, so Barbara Seliger: „Das kann auch bedeuten, Guidelines aufzustellen, um Pandemien genau zu verfolgen und im besten Fall in Zukunft zu verhindern.“ Es gehe darüber hinaus um ein verbessertes Training von jungen, aber auch etablierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen sowie die Verknüpfung von Promotionsprogrammen aus Deutschland mit lateinamerikanischen Universitäten: „Gleichzeitig aber auch um die Förderung von Programmen, die junge Wissenschaftler aus lateinamerikanischen Ländern untereinander in Verbindung bringen – und zwar langfristig.“ Die Datenbank von GLACIER werde „für alle im Netzwerk zugänglich sein, um zusammenzuarbeiten. Aber auch, um neue Ideen zu generieren und den Austausch nachhaltig zu fördern.“