Wissenschaft fördert Frieden
Am Teilchenbeschleuniger SESAME arbeiten Forschende aus Israel, Palästina und Iran. Er soll zum Frieden in der Region beitragen.
Dieser Teilchenbeschleuniger ist weit mehr als ein ambitioniertes wissenschaftliches Vorhaben. SESAME (Synchrotronlight for Experimental Science and Applications in the Middle East) wurde als friedensstiftendes Projekt ins Leben gerufen. An der Forschungsstätte in Jordanien arbeiten Länder wie Israel, Iran und die palästinensische Autonomiebehörde zusammen, um Völkerverständigung und die regionale Forschungslandschaft zu stärken – auch und gerade in Zeiten zunehmender Spannungen. SESAME wurde 2004 mit Unterstützung der UNESCO gegründet, bis zur Inbetriebnahme vergingen über zehn Jahre.
Deutschland war von Anfang an beteiligt. Herzstück der neuen Anlage bildete der Berliner Elektronenbeschleuniger BESSY I der Helmholtz-Gemeinschaft. Professor Rolf-Dieter Heuer ist der Vorsitzender des SESAME-Rats, des obersten Entscheidungsgremiums. Der ehemalige Generaldirektor des europäischen Teilchenforschungszentrums CERN erklärt, wieso der Teilchenbeschleuniger nicht nur für die Wissenschaft von großer Bedeutung ist.
Herr Professor Heuer, Völkerverständigung durch Wissenschaft – sagt sich das einfacher, als es in der Praxis umzusetzen ist?
Völkerverständigung geht nicht von heute auf morgen. Es braucht viel Zeit, Vertrauen aufzubauen und Gräben zu überbrücken. Man sieht dies an vielen Beispielen. Aber es lohnt sich und der Traum von SESAME, geboren vor über 20 Jahren, ist mit der Eröffnung 2017 Wirklichkeit geworden. Man spricht miteinander und hat dieselben Ziele: Forschung auf hohem Niveau, unabhängig von kulturellen Unterschieden. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erleben dies direkt und tragen die Idee weiter. Das ist für mich Völkerverständigung.
Wie hat sich das Interesse in der Wissenschaftsgemeinde an dem Projekt entwickelt?
Insgesamt sind über 900 wissenschaftliche Nutzer bei SESAME registriert und die Zahl ist stetig steigend. 165 Projekte, eingereicht von 83 wissenschaftlichen Gruppen aus 18 Ländern, wurden bisher genehmigt – fast doppelt so viele wurden beantragt. Diese Überbuchung zeigt das große Interesse an einer solchen Forschungseinrichtung in der Region.
Welche Forschungsvorhaben wurden bisher realisiert?
Experimentiert wird seit Mitte 2018. Allerdings stand SESAME wegen des Corona-Lockdowns seit etwa Mitte 2020 quasi still, es geht jetzt gerade wieder richtig los. Rund 70 Experimente wurden bisher durchgeführt. Dies ist eine erstaunlich hohe Rate in der kurzen Zeit. Die Experimente fallen zum Beispiel in die Gebiete Medizin – unter anderem Untersuchungen zu Alzheimer und Präeklampsie –, Kulturgüter, Chemie und Biologie.
Was waren für Sie bislang die größten Erfolge des Projekts?
Dass es überhaupt existiert, dass es bei kleinem Budget so erfolgreich ist und dass die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Region in so großer Zahl Projekte durchführen wollen. Auch die Unterstützung weltweit ist für mich ein großer Erfolg. Als größten Erfolg empfinde ich den Enthusiasmus der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ihr Ausbildungsstand ist außerdem mittlerweile weltweit so anerkannt, dass etliche bereits bei anderen Instituten arbeiten. Dies ist einerseits eine tolle Anerkennung, andererseits natürlich auch immer ein Verlust für SESAME, da ja immer wieder neu ausgebildet werden muss. Und das bei einer Personalstärke von weniger als 70 Personen.
Seit Februar 2019 ist SESAME außerdem CO2-neutral: Der Energiebedarf ist durch eine Solaranlage, die mithilfe von EU-Geldern finanziert wurde, vollständig gedeckt. Das ist, glaube ich, auch weltweit einmalig für eine Beschleunigeranlage.
Wie ist es aktuell um die Finanzlage von SESAME bestellt? Welche Rolle spielt Deutschland?
Die Finanzlage ist grundsätzlich prekär, es reicht gerade so. Die Hilfe anderer Stellen – zum Beispiel der EU, einzelner Staaten, anderer Institute – ist essentiell. Deutschland hat bisher sehr viel geholfen. Die Bereitstellung von BESSY 1 war ein wichtiger Meilenstein für SESAME.
Wie sieht die Zukunft des Teilchenbeschleunigers aus?
Drei Experimentierstationen, sogenannte Beamlines, sind in Betrieb, zwei kommen nächstes Jahr dazu, weitere sind in Planung. SESAME wächst. Wir suchen daher auch aktiv nach zusätzlichen Mitgliedsländern.