„Wir möchten einen echten Dialog“
Verena Menzel hat eine besondere Online-Sprachschule für Chinesisch gegründet. Die Prinzipien: Direktheit, Aktualität und Alltagsnähe.
Wenn Verena Menzel von China erzählt, spürt man ihre Begeisterung für das Land. „Mich faszinieren die Dynamik in China, der Hunger auf Neues, die kulturelle Offenheit und die Flexibilität der Menschen“, sagt sie. 2006 bereiste sie das Land zum ersten Mal – und war angetan. „Ich liebe Sprachen, habe Vergleichende Sprachwissenschaft studiert und hatte schon zuvor angefangen, Chinesisch zu lernen. Die Sprache hat mich unglaublich angezogen, auch wenn es eine große Herausforderung ist, dass vieles so uneindeutig ist.“ Viel Kontext sei nötig, um die richtige Interpretation eines Satzes zu finden.
Seit 2013 lässt Verena Menzel auch andere an ihrer Begeisterung teilhaben. Die Übersetzerin und Dozentin für Chinesisch als Fremdsprache hat in Peking zusammen mit einer chinesischen Freundin eine Online-Sprachschule für Chinesisch gegründet, die sich durch ihre Direktheit, Aktualität und Alltagsnähe von anderen Lerninstituten unterscheidet. Bei „New Chinese“ lernen die Sprachschülerinnen und -schüler beispielsweise, warum überarbeitete Chinesen sprichwörtlich „Backsteine schleppen“, wie man auf Chinesisch eine Beziehung beendet und mit welchen Vokabeln (Post löschen, jemanden adden) man sich in der Social-Media-App WeChat bewegen kann.
„Wir möchten einen wirklichen Dialog und echte Verständigung aus einer interkulturellen Perspektive heraus ermöglichen“, sagt Verena Menzel. „Daher gehen wir an die Themen ran, die in Deutschland oder China die Menschen tatsächlich beschäftigen.“ Auf der Website gibt es dazu thematische Vokabelsets, die in China oder auch in Deutschland interessieren, damit die Sprachschülerinnen und -schüler auch von ihrem eigenen Land berichten können.
Die Einstellung zu Bio-Lebensmitteln oder vegetarischer Ernährung wird beispielsweise für viele in Deutschland immer wichtiger, in China sorgt das Thema aber meist für ratlose Gesichter. „Die Frage ,Warum esst ihr kein Fleisch?‘ kann dann der Auftakt zu einem sehr spannenden Gespräch sein“, sagt Menzel.
Die Vokabelsets würden in den Konversationskursen ihrer Sprachschule, aber auch von deutsch-chinesischen Sprachtandems genutzt. „Wenn man auf Begriffe stößt, die man nicht übersetzen kann, weil es kein Bewusstsein oder keine Vokabeln dafür in der anderen Sprache gibt, wird der Austausch besonders interessant“, sagt Verena Menzel. Das sei beispielsweise bei Begriffen wie Achtsamkeit oder Entschleunigung der Fall. „Es gibt in China ähnliche Ansätze, dass Menschen sich beispielsweise auf das Landleben oder auf das Gärtnern zurückbesinnen, aber die Begriffe sind anders verknüpft. Und sein Handy zu Hause zu lassen, was diese Begriffe vielleicht für Deutsche suggerieren, würde hier tatsächlich niemandem einfallen. Ohne Smartphone läuft hier im Alltag nämlich gar nichts.“
Wer sich mit solchen Fragen beschäftigen möchte, braucht natürlich schon Grundlagen, und so startete „New Chinese“ als Plattform für Sprachlernende mit Vorkenntnissen. Ganz neu sind Einsteigerkurse und kostenfreie ergänzende Materialien für Anfänger. Sogar ein eigenes digitales Chinesisch-Anfängerlehrwerk haben Menzel und ihre Kollegin mittlerweile verfasst. „Inzwischen kann man über viele Formate Sprachen lernen, ich glaube aber, dass das Prinzip Sprachkurs nie ganz verschwinden wird“, sagt Verena Menzel. Anders als beispielsweise in einem Sprachtandem gebe es einen festen Rahmen und eine Autorität durch den Lehrer oder die Lehrerin. „Das kann dann schon mal mehr anspornen, die Hausaufgaben zu machen und Vokabeln zu pauken.“
Sprachtandems als Brücke zu internationalen Studierenden
Die gebürtige Darmstädterin Menzel selbst erinnert sich dennoch gerne an ihre Studienzeit zurück, als sie über mehrere Sprachtandems chinesische Austauschstudierende kennenlernte. „Ich wurde bald zum gemeinsamen Kochen eingeladen und wir haben über die Sprache hinaus ganz viel voneinander gelernt.“ Eine Erfahrung, die sie angespornt hat, Deutsche und Chinesinnen und Chinesen in einen echten Dialog zu bringen. „Wir sind an kein Organigramm gebunden und müssen keine Organisation repräsentieren mit unserer Sprachschule – deshalb können wir auch unsere Themen so frei wählen.“ Dabei suchen sie und ihre Kollegin oft bewusst Themen mit einem Augenzwinkern aus. Fehlender Austausch und eine gewisse Verhaltenheit auf beiden Seiten sei momentan die größte Herausforderung. „Aber gerade hier kann Sprache so viel leisten. Wir müssen uns mehr austauschen, miteinander ins Gespräch kommen und in Kontakt bleiben.“
Am schönsten sei es, so Menzel, wenn Sprachschülerinnen oder -schüler am Ende eines Kurses sagten: „Ich habe eine neue Perspektive gewonnen.”