Vom Studium direkt in den Job
Die meisten ausländischen Studierenden in Deutschland kommen aus China. Wir haben gefragt, was sie hier besonders schätzen.
Das Gaokao in China gilt als eine der härtesten Abschlussprüfungen der Welt. Der Ausgang des landesweiten Tests, an dem jedes Jahr mehr als 10 Millionen chinesische Schülerinnen und Schüler teilnehmen, entscheidet über ganze Berufskarrieren: an welcher Universität man studieren darf, welche Jobs danach infrage kommen, über welche finanziellen Mittel man später verfügt. Auch Simin Zhao hat sich durch das harte Auswahlverfahren gekämpft – eigentlich mit einem ganz guten Ergebnis. „Trotzdem hat es nicht dazu gereicht, mich für meinen Wunsch-Studiengang einzuschreiben“, erzählt der 28-jährige. „Also habe ich mir überlegt: Was habe ich sonst noch für Möglichkeiten? Und da war mir klar, dass es auf ein Auslandsstudium hinausläuft.“
Zhao wägt ab, er möchte Ingenieurswissenschaften studieren. Englischsprachige Länder mit Top-Universitäten scheiden wegen der hohen Studiengebühren schnell aus. Schließlich entscheidet er sich für Deutschland. „Die Unis dort haben einen sehr guten Ruf in China. Vor allem für technische Studiengänge“, erzählt er. „Und das alles für vergleichsweise wenig Geld.“ Die für ihn größte Herausforderung, die Sprache, überwindet er mit einem achtmonatigen Intensivkurs an der Universität Paderborn, mit dem sich ausländische Studierende auf ein Studium an einer deutschen Hochschule vorbereiten können. „Neben Deutsch standen dort auch Mathematik, Chemie und Physik auf dem Programm.“ Den Abschlusstest, die sogenannte Feststellungsprüfung, besteht Zhao mit der Note 1,3. An der RWTH Aachen schließlich geht sein Wunsch in Erfüllung: ein Studium der Elektrotechnik. Inzwischen hat Zhao sein Studium beendet und arbeitet als Berater bei einem Stuttgarter Unternehmen.
40.000 Studierende kommen aus China
Mit diesem Werdegang ist der junge Ingenieur aus Shanghai nicht alleine. Rund 40.000 Studierende aus China waren im Wintersemester 2020/21 an deutschen Hochschulen eingeschrieben, mehr als aus jedem anderen Land. Die meisten, rund 3.200 Chinesinnen und Chinesen, studieren an den beiden deutschen Top-Universitäten für technische Berufe, der RWTH Aachen und der TU München. Dass Absolventinnen und Absolventen ziemlich bald nach ihrem Abschluss einen Job bei einem deutschen Unternehmen bekommen, ist nicht ungewöhnlich. Nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts lebt immerhin fast ein Drittel aller chinesischen Studierenden zehn Jahre nach Beginn ihres Studiums noch in Deutschland, deutlich mehr als bei der zweitgrößten Gruppe der Studierenden aus den USA, von denen 14 Prozent langfristig in Deutschland Fuß fassen.
Björn Alpermann, Professor für Contemporary Chinese Studies in Würzburg, beobachtet diesen Trend schon seit Längerem. Er sagt: „Anders als früher ist es für Chinesinnen und Chinesen mit einem Auslandsstudium nicht mehr so einfach, in ihrer Heimat einen Job zu finden. Chinesische Unternehmen filtern potenzielle Bewerberinnen und Bewerber inzwischen immer stärker nach Arbeitserfahrung. Und dementsprechend groß ist eben das Interesse, wenn man schon einmal in Deutschland ist, auch auf dem hiesigen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.“ Selbst aktuelle geopolitische Spannungen tun dem keinen Abbruch. „Deutschland steht als stärkster Wirtschaftspartner innerhalb der EU nach wie vor sehr hoch im Kurs.“ Wobei es, wie Alpermann betont, längst nicht bei allen nur um die Karriere geht. „Viele haben den starken Wunsch, das Leben und Studieren in einem weniger restriktiven Umfeld kennenzulernen.“
Weniger sozialer Druck in Deutschland
In diese Richtung äußert sich auch Xin Long, Masterstudentin im Fach Science and Technology Studies der TU München. Ihren Bachelor in Anthropologie hatte die junge Chinesin aus der Region Chengdu in Westchina noch in den USA absolviert, sich dann aber für die Weiterführung ihres Studiums in Deutschland entschieden. Leben und Arbeiten in Deutschland empfindet sie als deutlich weniger reglementiert als in China oder sogar den USA, was etwas speziell die Arbeitsoptionen für Studierende angeht. „Neben dem Studium zu jobben, ist in Deutschland viel leichter.“
Die größte Überraschung für sie waren allerdings ihre Mitstudierenden an der TU München. Ihre Vorlesungen und Seminare besuche sie zusammen mit Menschen in den unterschiedlichsten Lebensphasen, Studienanfängerinnen und -anfänger genauso wie bereits verheiratete Mütter oder Väter. „Das kann ich mir in China nicht vorstellen.“
Überraschung in Deutschland: Papier statt E-Mail
In anderer Hinsicht gibt sich Deutschland aus chinesischer Sicht dann wieder ziemlich regelkonform und bisweilen nicht ganz auf der Höhe der technologischen Entwicklung. Als Chenyue Zhou, Studentin der Computerlinguistik an der Universität Stuttgart, ihr erstes WG-Zimmer bezog, wies sie eine Mitbewohnerin darauf hin, dass sie doch bitte schnell ihren Namen an den Briefkasten anbringen solle. „Ich habe zuerst gar nicht so richtig verstanden, warum das so wichtig ist. Bis mir dann klar wurde, wie bürokratisch Deutschland an dieser Stelle ist und wie viel Post immer noch in Papierform hin- und hergeschickt wird, statt auf elektronischem Weg zu kommunizieren, wie das in China üblich ist.“
Ähnlich äußert sich auch Simin Zhao, der nach sieben Jahren Deutschland gelernt hat, die Agilität und Zukunftsoffenheit seines Heimatlands zu schätzen. „Ich war kürzlich zum ersten Mal seit Langem wieder bei meiner Familien in Shanghai. Und da habe ich gemerkt, wie mich das Leben dort doch fasziniert. Wie lebendig und optimistisch die Stimmung unter den Menschen ist.“ Aktuell könnte er sich gut vorstellen, in einem der Werke von Volkswagen in Shanghai oder Anhui zu arbeiten – zumindest für ein paar Jahre.