Clooney, Eisenhower und noch mehr Geschichte
Der deutsch-amerikanische Historiker John Provan pflegt ein Privatarchiv mit geschichtsträchtigen Unikaten. Wir haben ihn besucht.
Eine Amsel pfeift aus der Wohnung, als John Provan um Punkt zehn Uhr morgens die Tür öffnet. Es tönt kein echtes Tier, sondern die Wanduhr im Flur, die jede volle Stunde mit dem Zwitschern eines Vogels einläutet. Das Wohnzimmer der geräumigen Wohnung in der hessischen Kleinstadt Kelkheim nahe Frankfurt am Main sieht aus wie ein Antiquariat. Porträtbüsten von John F. Kennedy und Elvis Presley und eine porzellane Micky Maus dekorieren die Fensterbänke des hellen Raums, eine Vitrine präsentiert eine üppige Sammlung rarer Hummel-Figuren. Auf dem Couchtisch, an dem Provan Platz nimmt, stehen vier Mainzelmännchen, Maskottchen des Fernsehsenders ZDF. Der 67-jährige Deutsch-Amerikaner ist selbstständiger Historiker und auch Sammler.
Sein Vater war als US-Soldat bei der Luftwaffe im Rhein-Main-Gebiet stationiert, wo er Provans hessische Mutter kennenlernte. Wie viele deutsch-amerikanische Familien, die sich während und nach der alliierten Besatzung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet haben, waren die Provans viel unterwegs. John Provan ist in Ohio geboren, einen Großteil seiner Kindheit verbrachte er in der US-Kaserne im rheinland-pfälzischen Sembach. Er studierte in Maryland und wurde in Darmstadt promoviert. Auch in seiner Arbeit als Historiker beschäftigt er sich mit den vielen Verbindungen zwischen den USA und Deutschland, schrieb Bücher über die Berliner Luftbrücke und Kennedys Deutschlandbesuch. Vor rund 25 Jahren passierte dann etwas, das er heute seinen „Schicksalsruf“ nennt.
Ein Schatzretter auf Mission
Mit dem Ende des Kalten Krieges wurden immer mehr US-Einrichtungen geschlossen. „Wenn die Amis wegziehen und die Kasernen verlassen, ist der Befehl: Besenrein! Dann muss alles leer sein“, erklärt Provan. Das ist leichter gesagt als getan. Eine Kaserne ist ein Komplex, der nicht selten die Ausmaße einer Kleinstadt annimmt. Wohnhäuser, Schulen, Bibliotheken, Baracken und Büros, die eilig verlassen wurden – und in denen dann doch viel liegen blieb. Die Unmengen an Dokumenten, Fotografien und Gegenständen konnten weder zurück in die USA geschickt werden, noch durften die Kommandanten sie verschenken. Provan sah, wie viel wertvolles Material hier für immer zu verschwinden drohte. „Vieles, was wir US-Amerikaner hier gemacht haben, hat seine Spuren hinterlassen. Als Historiker war es mir wichtig, dass irgendjemand diese Spuren sammelt und für die nächste Generation erhält.“
Provan durchstreifte also alte Kasernen und suchte nach Überbleibseln mit historischer Bedeutung. Ganz ordnungsgemäß sei das nicht gewesen. „Es ist alles ein bisschen diebisch, selbstverständlich, aber es geht nicht anders“, sagte er. Ausgerüstet mit Taschenlampe, Schraubenzieher, Hammer und Fotoapparat durchstreifte er die Büros und Keller, die geräumt werden sollten. Auch die Mülleimer durchsuchte er. „Dipsty Dumpster Diving heißt das. Das ist auch nicht erlaubt, aber wenn du es am Wochenende machst und die Military Police es nicht sieht…“. Beschwert habe sich keiner. Im Gegenteil: Museen und Zeitungen fragen bei ihm an, um zu sehen, was er gerettet hat.
Eisenhower und Clooney
Die Uhr vom Flur ruft, ein Kuckuck, es ist elf. John Provan ist 1,90 Meter groß, hat volles graues Haar, trägt Bluejeans und Karohemd. Er steigt über eine Wendeltreppe nach oben. Hier, in einem kleinen Kämmerchen mit riesigem Fernseher, ist sein Arbeitsplatz. Vor dem Schreibtisch steht ein kleiner Schatz: Ein hölzernes Schreibtischnamensschild „GEN. Dwight D. Eisenhower“. Der spätere US-Präsident war Militärgouverneur der US-Besatzungszone mit Büro im I.G.-Farben-Haus in Frankfurt am Main, heute einem Standort der Universität Frankfurt. Auf dem Schreibtisch, auf dem das Schild stand, unterzeichnete Eisenhower 1945 die Proklamation Nr. 1 des Alliierten Kontrollrats. Provan entdeckte das Schild auf dem Kellerboden eines alten Kasernen-Krankenhauses.
In den US-Kasernen arbeiteten auch professionelle Fotografen. Ein Großteil von Provans Archiv besteht daher aus geretteten Bildern. 400.000 Negative hat er eingescannt, etwa 30.000 stehen noch aus. Die Bilder zeigen, wie das Leben in den Kasernen war und wie US-Einflüsse die junge Bundesrepublik prägten. Ein Beispiel: Das 1943 gegründete Radionetzwerk American Forces Network (AFN) sorgte maßgeblich für die Verbreitung der US-Popkultur in Deutschland und Europa. Provans Bilder zeigen, wer moderiert und Platten aufgelegt hat. Auf einem Bild ist Peter Lustig zu sehen, später ein legendärer Moderator deutscher TV-Kindersendungen. Ein anderes zeigt Bill Ramsey, populärer Jazzmusiker und Sänger. Und dann ist da der Mann, der Hollywood-Star George Clooney aus dem Gesicht geschnitten scheint. Das ist kein Zufall: Nick Clooney ist Georges Vater.
Nick Clooney war 1954 und 1955 als Soldat in Hessen stationiert und arbeitete auch als Moderator und DJ bei AFN. 60 Jahre später, 2014, als er auf dem Weg nach Venedig zur Hochzeit seines Sohnes George war, besuchte er noch einmal Frankfurt. Damals traf er auch John Provan. Gemeinsam hörten sie Aufzeichnungen alter Radioshows von Clooney. Nick Clooney war begeistert, eine Dankeskarte zeugt noch heute davon.
John Provans gigantisches Privatarchiv befasst sich mit allen Aspekten der vielfältigen Verbindungen zwischen den USA und Deutschland. Es hilft, die multikulturelle deutsche Nachkriegsgeschichte besser zu verstehen. Zu sehen sind auch Bilder des „German Youth Activities Program“, einer Art Vorläufer heutiger Jugendzentren: US-Soldaten, die mit deutschen Kindern Baseball spielten oder Seifenkisten bauten. Auch andersherum, so merkt John Provan an, haben die US-Soldaten deutsche Einflüsse mit in die Heimat genommen – vom Kindergarten bis zum Oktoberfest in Pennsylvania. Doch das ist eine andere Geschichte.