Berliner „Model Maker“ für Hollywood
„Asteroid City“ und viele mehr: Warum Simon Weisse in Hollywood ein besonders gefragter Mann ist, nicht nur für die Filme von Wes Anderson.
„Everything is bigger in America“, sagt Simon Weisse – und doch ist er der Mann, den Hollywood bucht, wenn’s ein bisschen kleiner sein darf. Weisse ist Miniaturmodellbauer. Gebäude, Straßenzüge, sogar ganze Landschaften kann er mit seinem bis zu 15 Kolleginnen und Kollegen zählenden Team im Miniformat nachbauen, oder – wie zuletzt im Fall der US-Kinoproduktion „Asteroid City“ – eine Eisenbahn, einen Krater und ein Raumschiff. Regisseur Wes Anderson wollte nicht nur ein durchsichtiges Raumschiff, sondern auch einen ganzen Zug mit 20 Waggons im Maßstab 1:8, Gesamtlänge zwischen 40 und 50 Meter. „Bildhauer haben sogar kleine Orangen und Avocados auf den Gemüsewaggon gesetzt. Im Film sieht man das nur kurz“, berichtet Weisse über die monatelange Arbeit an der skurrilen Komödie über eine amerikanische Wüstenstadt, in der ein Alien landet.
Weisses Werkstatt befindet sich in Berlin-Neukölln, in einem Hinterhof an der Karl-Marx-Straße. Die Türen sind generell verschlossen, ist ein Projekt fertig, folgt schon das nächste, und Hollywoods Studios mögen es nicht, wenn auch nur Kleinigkeiten nach außen gelangen. Aber warum gehen die Aufträge aus Amerika ausgerechnet nach Deutschland, und warum lässt man überhaupt noch analog bauen, wenn am Computer inzwischen quasi alles digital erzeugt werden kann? „Ich habe schon vor 20 Jahren gedacht, dass ich nie wieder Miniaturen bauen werde. Aber momentan bin ich sogar etwas überarbeitet“, sagt der 61-jährige Weisse: „Es gibt so viele Anfragen, diese alten Techniken wieder neu benutzen zu wollen. Ich nenne das immer eine künstlerische Wahl: Dreidimensional sieht einfach anders aus als digital und ist gerade wieder im Kommen.“
„Grand Budapest Hotel“ war der internationale Durchbruch
Doch gibt es kaum noch jemanden, der diesen Beruf ausüben kann. Der Berliner Weisse hat nur wenige Konkurrenten und Angebote erhält er auch aus Italien, Frankreich und natürlich Deutschland, wo er zuletzt etwa an dem Science-Fiction-Film „Wow! Nachricht aus dem All“ mitgewirkt hat. Hauptsächlich wird der Miniaturspezialist aber von Amerikanern angerufen, seit er 2013 erstmals mit Wes Anderson zusammenarbeitete und für ihn das „Grand Budapest Hotel“ errichtete. „Die Anfrage, ob es noch jemanden in Europa gäbe, der klassische Miniatursets für visuelle Effekte anfertigt, ging damals über das Studio Babelsberg, und da erinnerte man sich freundlicherweise an mich.“
Weisse wirkt bescheiden, freut sich aber, dass Wes Anderson ihn inzwischen für seine Filme fest einplant. Nach „Grand Budapest Hotel“, „Isle of Dogs“, „The French Dispatch“ und „Asteroid City“ kommt Ende 2023 mit der Roald-Dahl-Verfilmung „The Wonderful Story of Henry Sugar“ bereits ihr fünfter gemeinsamer Film heraus. Die Arbeit mit Anderson beschreibt Weisse so: „Mit Wes ist es sehr eigen. Der geht ans Set, wenn er mit den Schauspielern arbeiten muss. Ansonsten hält er sich sehr zurück.“ Kommuniziert wird daher meistens über E-Mails. Weisse schickt Entwürfe, Anderson kommentiert sie. „Er interessiert sich aber gar nicht so sehr für die Modelle, sondern er will immer wissen, wie es nachher im Film aussieht“, erklärt Weisse. „Also nehme ich meine Kamera und richte sie genauso ein, um ein Foto von unserem Modell zu machen, so wie es im Film aussehen wird.“
Sorgfalt und Detailbesessenheit zeichnen Simon Weisse aus, und längst wird er auch von anderen internationalen Regisseuren geschätzt. Steven Spielberg verpflichtete ihn für seinen Agententhriller „Bridge of Spies“, Lana Wachowski für den vierten Teil der Science-Fiction-Reihe „Matrix“ und Francis Lawrence für die Endzeitsaga „Die Tribute von Panem“. Weisse entwirft aber nicht nur Miniaturbauten, sondern auch Requisiten, die einen Science-Fiction-Look brauchen. „Wir sind sehr traditionell, arbeiten mit viel Holz, Kunststoffen und Metall“, erläutert Weisse. „Neuerdings nutzen wir vermehrt den 3-D-Drucker, aber der ist für uns ein Werkzeug wie jedes andere. Ein guter 3-D-Drucker ist für mich genauso wichtig wie eine gute Kreissäge.“
Aber wie wird man Model Maker, so die offizielle Bezeichnung seines Berufs? „Ich habe früher Kunst studiert, mein Vater war Standfotograf beim Film und durch ihn bekam ich dort meine ersten Nebenjobs. Das erste Mal bei ‚Die Abenteuer des Baron Münchhausen‘ von 1988. So bin ich da reingerutscht.“ Der im Jahr 2000 verstorbene Leo Weisse nahm seinen Sohn schon als Kind an Filmsets mit, weckte so die Leidenschaft bei ihm. Heute konzentriert sich Simon Weisse am Filmset völlig auf seine Bauten, großen Stars wie Scarlett Johansson oder Tom Hanks, die bei „Asteroid City“ mitspielen, geht er eher aus dem Weg. „Am Set haben alle eine Aufgabe“, erklärt er. „Klar kann sich ein Gespräch ergeben, wenn man gemeinsam am Mittagstisch sitzt. Aber ich fokussiere das nicht.“ Simon Weisse ist eben ganz Profi, genau deshalb wird er international auch so sehr geschätzt.