„Der Dialog ist nur der Anfang”
Slieman Halabi setzt sich von Deutschland aus dafür ein, Israelis und Palästinenser miteinander ins Gespräch zu bringen.
Seit 2014 wohnt Slieman Halabi in Deutschland. Zuvor hat er als palästinensischer Staatsbürger in Israel gelebt. Als Vermittler und Organisator israelisch-palästinensischer Dialoggruppen engagiert er sich für die Förderung des Dialogs zwischen Palästinensern und Israelis.
Herr Halabi, Sie leben schon seit einigen Jahren nicht mehr in Israel. Haben Sie da Abstand zum aktuellen Geschehen in der Region?
Nein, überhaupt nicht. Ich fühle mich der Region sehr verbunden und habe Kriege in meinem Heimatland miterlebt – wie 2006 den Libanonkrieg. Kurz bevor ich Israel 2014 verließ, erreichten zum ersten Mal Raketen der Hamas Tel Aviv. Außerdem fahre ich weiter regelmäßig nach Israel. Es bedrückt mich sehr, was gerade passiert.
Sie sind ein arabischer Israeli drusischen Glaubens, gehören also einer Minderheit an. Sitzen Sie da zwischen allen Stühlen?
Ich würde sagen, meine Identität ist recht komplex. Einerseits ist die drusische Minderheit aus verschiedenen historischen Gründen sehr loyal gegenüber Israel und leistet auch Militärdienst. Ich bin als Druse aufgewachsen, identifiziere mich aber auch als Teil der palästinensischen Minderheit in Israel. Im Prinzip ist das für mich kein Problem, in der aktuellen Situation wird man aber immer wieder aufgefordert, für eine Seite Partei zu ergreifen. Je nachdem mit wem man spricht, steht man entweder auf der richtigen oder der falschen Seite. Die Debatte ist völlig toxisch. Ich finde das sehr schade, es zerstört jeden demokratischen Diskurs.
Sie organisieren Dialoggespräche zwischen Israelis und Palästinensern, die in Europa leben. Wie kam es dazu?
Ich hatte schon vor dem Überfall der Hamas auf Israel und der anschließenden Invasion Israels in Gaza den Plan gefasst, einen Dialog zu organisieren. An der psychologischen Fakultät der Universität von Tel Aviv finden solche Gesprächskreise seit 20 Jahren statt. Sie werden initiiert von der „School for Peace”. Ich selbst habe mich an der „School for Peace” als Moderator ausbilden lassen und habe seit 2011 Gesprächskreise in Israel geleitet. Dahinter steht die Überzeugung, dass wir Konflikte nur überwinden können, wenn wir miteinander ins Gespräch kommen und über die schwierigen Themen reden. Wenn wir bereit sind, die Perspektive des anderen zu verstehen. Genau das ist das Ziel unserer Gesprächskreise: Es geht nicht darum, Argumente auszutauschen, sondern darum, über persönliche Erfahrungen zu sprechen. Wie erlebe ich den Konflikt und was bedeutet er für mich?
Was ist die „School for Peace“ genau?
Die „School for Peace” gehört zu einem Friedensdorf in Israel, in dem Juden und Araber zusammenleben. Das Dorf liegt zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Seit 1979 finden hier Workshops und Begegnungen statt, die den Frieden fördern sollen. Angeleitete Dialoge sollen jüdischen und palästinensischen Bürgerinnen und Bürgern Israels helfen, Verständnis füreinander zu entwickeln und ihre eigene Rolle in dem Konflikt zu verstehen. Außerdem werden Dialogmoderatoren ausgebildet, die die Idee weitertragen.
Ist es einfacher, über den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern in Europa zu sprechen als in Israel?
Ich glaube, allen Menschen, die Freunde oder Verwandte in Israel oder in Gaza haben, gehen die aktuellen Ereignisse sehr nahe. Das Besondere an unserem Dialog ist, dass wir israelische Juden und Palästinenser aus allen Gemeinschaften, etwa aus der Diaspora oder aus Gaza, hier in Europa zusammenbringen können. In Israel wäre das nicht möglich.
Das erste Dialogtreffen war als Online-Gespräch geplant, ausgerechnet am 8. Oktober, also am Tag nach dem brutalen Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten. Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?
Wir haben uns natürlich gefragt, ob wir das Treffen unter diesen Umständen nicht verschieben sollten. Mein Empfinden war: Jetzt müssen wir erst recht reden. Sonst werden wir verrückt. Den anderen ging es vermutlich ähnlich, denn tatsächlich haben sich am 8. Oktober alle 17 Teilnehmenden in das Video-Gespräch eingewählt.
Können die Teilnehmenden des Dialogs angesichts der Gewalt auf beiden Seiten überhaupt in den Austausch kommen?
Wir erleben immer wieder schwierige Momente. Manchmal werden Schuldzuweisungen geäußert oder politische Diskussionen angestoßen. Wir ermutigen die Teilnehmenden jedoch, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Das fördert Empathie. Es hilft auch, wenn man im Kreis zusammensitzt und sich direkt in die Augen schaut. Auch das schafft Nähe. Ein persönliches Treffen konnten wir allerdings erst einmal realisieren. Für weitere Zusammenkünfte fehlen uns leider die finanziellen Mittel.
Wer sind die Menschen, die an den Treffen teilnehmen?
Das sind Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen. Die meisten leben in Deutschland, einzelne in Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz, Großbritannien und Spanien. Es sind Akademiker, Programmierer, Leute, die im Marketing arbeiten oder bei Nichtregierungsorganisationen. Auch Aktivisten sind dabei.
Was hat der Dialog bei ihnen bewirkt?
Die Teilnehmenden verändern sich. Sie überdenken viele ihrer Positionen. Viele sind nach Europa gegangen, um dem Konflikt mit all seinen negativen Einflüssen zu entfliehen. Das betrifft vor allem die Israelis aus der Gruppe. Durch den Dialog ist ihnen jedoch klar geworden, dass sie sich nicht entziehen können. Sie begreifen, dass sie das Thema überall einholt. Sie erkennen aber auch, dass sie sich in Europa sehr wohl für Frieden einsetzen können.
Was bedeutet das konkret?
Zwei Teilnehmerinnen, eine Israelin und eine Palästinenserin, haben ein Hilfsprojekt initiiert und werden von anderen aus der Gruppe unterstützt. Auch über andere Initiativen wird in der Gruppe nachgedacht. Vor dem Dialog waren die meisten aus dem Kreis überzeugt, dass sie nichts ausrichten können, um die Lage vor Ort zu verändern. Durch den Austausch sind sie dazu übergegangen, das Problem nicht nur zu beobachten oder zu diskutieren, sondern konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Der Dialog ist nur ein Anfang.