Die verbindende Kraft der Musik
In der Barenboim-Said Akademie studieren Musikerinnen und Musiker aus Israel und der arabischen Welt zusammen. Ein Raum für besondere Begegnungen.
Der Eingangsbereich der Barenboim-Said Akademie in Deutschlands Hauptstadt Berlin ist offen und hell. Das Foyer dient tagsüber als Aufenthalts- und Begegnungsraum für Studierende, abends verwandelt es sich in ein Konzertfoyer. Die Studierenden sitzen hier zusammen, es wird laut diskutiert und gelacht. Man spürt schon beim Betreten des Gebäudes, dass hier das Miteinander im Mittelpunkt steht. Keiner soll sich ausgeschlossen fühlen.
1999 gründete Daniel Barenboim mit seinem Freund Edward Said, dem 2003 verstorbenen Literaturwissenschaftler, das West-Eastern Divan Orchestra. Der argentinisch-israelische Pianist und Dirigent Barenboim ist bekannt für seine Interpretationen klassischer Musik, aber auch für sein Engagement für den interkulturellen Dialog durch Musik. Die Idee des Orchesters: Menschen aus verfeindeten Ländern zusammenbringen und ein besseres Miteinander durch gemeinsames Musizieren fördern. Aus dieser Vision entstand 2016 die Akademie. Sie gibt jungen arabischen und israelischen Menschen die Chance, sich in klassischer westlicher Musik ausbilden zu lassen. Und sie fördert Nachwuchs für das West-Eastern Divan Orchestra. Daniel Barenboims Leitgedanke: „Bildung durch Musik“.
An der Akademie werden deshalb nicht nur Orchesterinstrumente, Klavier und Komposition in Bachelor- und Masterprogrammen gelehrt, sondern die Studierenden belegen auch geisteswissenschaftliche Veranstaltungen in Philosophie, Geschichte oder Literatur. Diese sollen fachliche Grundlagen und intellektuelle Fertigkeiten vermitteln und zugleich Raum für Begegnungen und Dialog zwischen Menschen aus verschiedenen nationalen, religiösen und kulturellen Kontexten bieten.
„Gott sei Dank haben wir noch die Musik“
„Seit am 7. Oktober die Hamas Israel angriffen hat, sind wir in noch engerem Austausch mit den Studierenden“, erklärt Rektorin Regula Rapp. Sie trifft sich regelmäßig mit der „Student Union“, einem Zusammenschluss aus gewählten Studierendenvertreterinnen und -vertretern, und tauscht sich über Probleme und Bedürfnisse der Studierenden aus. Außerdem werden Einzelgespräche und Therapiemöglichkeiten angeboten. „Natürlich gab es auch Studierende, die erstmal nicht mehr gekommen sind und Zeit brauchten. Andere kamen regelmäßig zum Unterricht und waren dankbar für die Abwechslung“, berichtet Rapp. Wie bedeutend die Kraft der Musik ist, hat die Rektorin in den vergangenen Monaten besonders gespürt: „Ein Studierender aus Israel sagte zu mir: ‚Gott sei Dank haben wir noch die Musik.‘ Inmitten des Traumas kann Musik etwas Hoffnung geben.“
Freundschaften über alle Grenzen hinaus
Auch die Studierenden, die nicht aus der Kriegsregion kommen, seien in diesen Zeiten von besonderer Bedeutung. „Alle unterstützen sich gegenseitig, es gibt große Anteilnahme. Und sie geben sich gegenseitig Kraft. Die Freundschaften, die hier entstehen, gehen über Grenzen hinaus“, so Rapp. In der Barenboim-Said Akademie werde jeder einzelne als Mensch und als Mit-Musikerin oder -Musiker gesehen und das friedliche Miteinander gefördert.
Die Studierenden sollen hier in einem geschützten Rahmen gemeinsam lernen und Musik machen. Daniel Barenboim und Edward Said förderten von Anfang an eine lebhafte Diskussionskultur im Orchester. Differenzen und die Äußerung konträrer Meinungen sind nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Die Akademie ist so auch in der aktuellen Situation ein Ort, an dem Israelis und Palästinenser miteinander sprechen und sich austauschen können. Dass das etwas Besonderes ist, weiß Michael Barenboim, Sohn des Gründers und Dekan der Akademie: „Der Grund, wieso es das West-Eastern Divan Orchester und die Akademie gibt, ist der permanente Konflikt in Nahost. Wir haben eine besondere Verantwortung gegenüber den Studierenden. Bei uns soll sich jeder wohlfühlen. Um das aufrecht zu erhalten, bedarf es harter Arbeit.“
Ein Ort der Begegnung und des Austauschs in Krisenzeiten
Um die Sicherheit der Studierenden in der aktuellen Situation gewährleisten zu können, wurden zum Beispiel Taschenkontrollen vor größeren Konzerten eingeführt. Der offene Charakter des Hauses soll dennoch so gut es geht aufrechterhalten werden. „Wir wollen ein Ort der Begegnung und des Miteinanders bleiben, denn das ist unsere Grundidee“, erklärt Michael Barenboim.
Das West-Eastern Divan Orchestra und die Barenboim-Said Akademie zeigen, dass Verständigung und Zusammenarbeit möglich sind, auch wenn dies harte Arbeit erfordert. „Das gibt Hoffnung in Zeiten, in denen viel Hoffnungslosigkeit zu spüren ist“, sagt Rektorin Regula Rapp.