Eine App für alles
Ismet Koyun will Deutschland mit seiner App „myCity“ digitalisieren. Erfolge feierte er damit bereits in Istanbul.
Früher hat sich Ismet Koyun hin und wieder als „anatolischen Elon Musk“ bezeichnet. Darauf angesprochen, sagt Koyun heute: „Das finde ich schrecklich, ich habe das niemals so gemeint! Ich bin ganz anders als Musk.“ Koyun sitzt zum Video-Interview in seinem Büro in der Nähe von Antalya, mit Blick auf riesige Fabrikhallen und dahinter die Weite der Landschaft. Wie Musk treibt auch Koyun ein großer Erfindergeist an, er hat immer neue Ideen – und er verdient damit sehr viel Geld. Aber darum ging es ihm nie, sagt er.
„myCity“ ab November 2024 in Worms verfügbar
Auch mit seinem aktuellen Projekt hat er Großes vor: Er will Deutschland mit seiner App namens „myCity“ digitalisieren. In Istanbul wird sie bereits seit einigen Jahren genutzt. Und von November 2024 an gibt es sie auch für die rheinhessische Stadt Worms. Worms? Warum nicht Berlin, München oder Köln? Die Antwort gibt Koyuns Biografie. Er pendelt heute zwischen der Türkei, den USA und Deutschland. Nach Deutschland floh er 1978 im Alter von 18 Jahren. „In der Türkei wurde ich politisch verfolgt, weil ich die Revolution wollte – ich wollte nicht, dass es arme und reiche Menschen gibt“, sagt er. Den Wunsch, Neues zu schaffen, nahm er mit ins neue Land: „Es liegt in meiner DNA, etwas verändern zu wollen.“ In Worms studierte er Informatik und merkte, dass sein Weg, die Welt zu verändern, über die Technologie führte.
1986 gründete er die Kobil-GmbH. Ko – wie in Koyun – und „bil“ – wie in Bilgisayar, türkisch für Computer. Kobil war ein kleines IT-Unternehmen, spezialisiert auf Verschlüsselung und Datensicherheit. Bald stellte es auch Lesegeräte für Chipkarten her, unter anderem für die Deutsche Telekom. Die Idee für seine App, die die Verwaltung revolutionieren soll, hatte Koyun in Deutschland, und hier wollte er sie auch einsetzen. „Aber ich habe niemanden gefunden, der bereit war, meine Technologie zu nutzen“, sagt er. Also entschied sich Koyun für eine Veröffentlichung in der Türkei.
App in Istanbul erfolgreich im Einsatz
Seit 2021 ist „myCity“, seine „one app for all“, also eine App für alles, in Istanbul im Einsatz. Fünf der 16 Millionen Einwohner Istanbuls nutzen sie. Es gibt ein Foto, auf dem steht Koyun mit Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu vor einem riesigen Werbeplakat. Darauf abgebildet ist ein Smartphone mit der App: „Istanbul Senin“, übersetzt „Istanbul gehört dir“. „İmamoğlu ist sehr visionär und hat verstanden, was ich vorhatte. Er steht hundert Prozent dahinter“, sagt Koyun.
Die App, die Koyun „Super-App“ nennt, hört sich fast zu gut an, um wahr zu sein. Er habe die Grundtechnologie geschaffen, ein Framework, eine Hülle, in der man tausende Apps bündeln könne und nicht mehr für unterschiedliche Aufgaben zwischen spezialisierten Apps wechseln müsse. Jeder könne sich darauf registrieren. Die App habe „ein gutes Identity Management System, eine geschützte Kommunikation, ein eigenes Chat-System – man kann sicher Dokumente hin und her schicken“, sagt Koyun.
Eine App für alles
Die App liefert also eine komplexe technische Infrastruktur, durch die Apps und Webanwendungen aus allen Bereichen des Lebens einer Region zusammengeführt werden. Bürgerinnen und Bürger können bei Behörden ihren Pass verlängern oder ihre Wohnung ummelden. Sie können aber auch bei Restaurants bestellen, einen Friseur buchen, ein Taxi ordern, ein Hotel reservieren, ihre Stromrechnung bezahlen oder auf ihr Konto zugreifen.
Dass er dieses Framework für sein Projekt in Istanbul programmiert hat, hilft ihm nun in Worms. An der Technologie ändert sich nichts, sie wird nur neu befüllt mit den regionalen Anwendungen. Koyun ist überzeugt, dass Deutschland seine App braucht, denn: „Eine App nur für die Verwaltung wird sich niemals durchsetzen“, sagt er. „Wie oft muss man schon seinen Pass verlängern oder seinen Hund anmelden?“ Viel zu selten, als dass diese spezialisierte App regelmäßig genutzt würde. Deshalb will er möglichst viele Funktionen aus verschiedenen Bereichen in einer App verbinden.
Vier Monate arbeiten sie bereits an der Version für Worms. „Gerade sind wir dabei, die Anwendungen der Stadt und verschiedener Firmen auf unsere App zu bringen“, sagt Koyun. Eine Herausforderung sei, die App den deutschen Gesetzen und Regeln für Datenschutz anzupassen.
Wirtschaftliche Stärkung der Region durch „myCity“
Ende November soll „myCity“ live gehen, mit einem großen Presse-Event. Der Oberbürgermeister könne dann Nachrichten versenden, per App würden regionale Neuigkeiten und Events angekündigt, es werde eine regionale Alarmfunktion geben. Jedes Schuhgeschäft, jede Pizzeria, jede Apotheke solle in der App zu finden sein. Koyun will das Lokale, die kommunale Ebene stärken. „Ich sage immer: Stärke deine Region, stärke dein Land.“
Koyun fühlt sich mit Worms tief verbunden, den Oberbürgermeister mag er sehr. Von der Stadt bekomme er 80.000 Euro für die Umsetzung der App – damit könne er nicht viel machen, sagt er. Bis zu einer Million Euro zahle seine Firma drauf. „In Worms“, sagt Koyun, „gibt es drei sehr wichtige historische Dinge: die Nibelungensage, Martin Luther – und Kobil.“ Er lacht. Und sagt dann im Ernst: „Ich bin überzeugt, diese Technologie wird sich durchsetzen. Ob mit Kobil oder ohne, das weiß ich nicht.“