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Jüdische Kultur in Deutschland erleben

Begegnungsstätten und Thinktanks: Diese Orte jüdischen Lebens solltet ihr beim nächsten Besuch in Deutschland entdecken.

Eugen El , 27.07.2020
Jüdische Kultur von damals und heute wird an diesen Orten lebendig.
Jüdische Kultur von damals und heute wird an diesen Orten lebendig. © Adobe Stock

Jüdisches Leben bereichert das Stadtbild und gesellschaftliche Leben vieler deutscher Städte:  Begegnungsstätten, Festivals, Thinktanks, Lernlabors, hier könnt ihr einen kleinen Ausschnitt der vielfältigen jüdischen Kultur in Deutschland erleben.

 

Frankfurt

Frankfurt
© SeanPavone

Für den hessischen Antisemitismusbeauftragten Uwe Becker ist Frankfurt am Main die „jüdischste Stadt“ Deutschlands. Viele Institutionen der heutigen Finanzmetropole gehen auf jüdische Stifter und Gründer zurück, die Goethe-Universität zum Beispiel oder die „Frankfurter Zeitung“, Vorläuferin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, eine der größten überregionalen Tageszeitungen Deutschlands. Der Publizist Ludwig Börne und der Philosoph Theodor W. Adorno waren ebenso gebürtige Frankfurter wie Anne Frank, die für ihre im niederländischen Exil geschriebenen Tagebücher weltberühmt wurde. Im Frankfurter Stadtteil Dornbusch markieren Gedenktafeln ihr Geburtshaus und das Wohnhaus ihrer Kindertage. Tipp für Frankfurt-Besucher: In der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt erzählt ein interaktives, modernes „Lernlabor“ die Geschichte der Jugendlichen, die kurz vor Kriegsende im KZ Bergen-Belsen ermordet wurde.

Begleitet uns durch die Bildungsstätte Anne Frank! Hier geht es zur Instagram-Story.

Das jüdische Leben in Frankfurt reicht weit zurück: Im 12. Jahrhundert entwickelte sich in der Gegend um den Dom eine erste Jüdische Gemeinde. Vom 15. bis weit ins 19. Jahrhundert lebten die Frankfurter Juden in einem Ghetto, der sogenannten Judengasse. Nach der bürgerlichen Gleichstellung 1864 zogen sie auch in andere Frankfurter Stadtteile. Die 1910 erbaute Westend-Synagoge ist immer noch ein Symbol für diese Zeit. Sie überstand als einzige große Frankfurter Synagoge die NS-Zeit. Bis 1933 zählte die Frankfurter Gemeinde mehr als 30.000 Mitglieder. Dann zerstörten die Nationalsozialisten das jüdische Leben in der Stadt und ermordeten etwa 12.000 Frankfurter Juden. In Frankfurt selbst überlebten nur 100 Jüdinnen und Juden die NS-Zeit.

Westend

Jüdischer Thinktank mit bundesweiter Bedeutung

Heute ist Frankfurt wieder Heimat für eine der größten Jüdischen Gemeinden Deutschlands. Bald  soll hier eine zentrale bundesweite Denkfabrik und Bildungseinrichtung entstehen: die Jüdische Akademie. Sie soll sich an Juden wie Nichtjuden richten und den Diskurs über die jüdische Kultur verstärkt in die deutsche Bevölkerung tragen, sie soll aufklären und präventiv gegen Antisemitismus wirken. Intensiv mit der jüdischen Geschichte und Kultur können sich Bewohner wie Besucher auch heute schon im Jüdischen Museum in Frankfurt beschäftigen, dem ältesten jüdischen Museum der Bundesrepublik. Nach einem fünf Jahre dauernden Umbau des Rothschild-Palais und einer Erweiterung wird das Haus am 21. Oktober 2020 wieder eröffnen. „Das Museum hat es sich zur Aufgabe gemacht, jüdische Kulturen in Geschichte und Gegenwart auf lebendige Art und Weise erfahrbar zu machen“, sagt Direktorin Mirjam Wenzel.

 

Leipzig

Leipzig
© Adobe Stock

„Leipzig ist das neue Berlin“, heißt es oft. Die Stadt in Sachsen ist angesagt, hip und kreativ. Und sie wurde und wird vom jüdischen Leben geprägt. Zweimal im Jahr findet in der sächsischen Metropole die Jüdische Woche statt. Lesungen, Konzerte, Zeitzeugengespräche und Tanz erlauben es den Besucherinnen und Besuchern in das jüdische Leben, den Alltag und die Religion einzutauchen. Das Fest lebt von intensiven Begegnungen: Viele Gäste reisen dafür von Israel, aus den USA, Großbritannien, Chile oder Australien nach Leipzig.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer betonte bei der Ernennung des Beauftragten für jüdisches Leben in Sachsen 2019: „Jüdisches Leben ist ein wichtiger Teil unserer Geschichte und Gegenwart. Ich freue mich über die kulturelle Vielfalt in Sachsen mit ihren lebendigen jüdischen Gemeinden. Jüdisches Leben ist wieder ein bestimmender Teil unserer sächsischen Heimat geworden.“

Auch in Leipzig reichen die Spuren des jüdischen Lebens zurück bis ins Mittelalter. 1925 war Leipzigs Israelitische Religionsgemeinde mit 12.594 Mitgliedern die sechstgrößte jüdische Gemeinde in Deutschland. Während der NS-Zeit wurde das jüdische Leben beinahe vollständig vernichtet. Unter der SED-Herrschaft der DDR wurden keine Anstrengungen unternommen, es wieder aufzubauen.

Jüdische Kultur in der Stadtgesellschaft

Heute zählt Leipzigs Israelitische Religionsgemeinde etwa 1.200 Mitglieder, unter ihnen viele Zuwanderinnen und Zuwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. „Zahlreiche Menschen, die Anfang der 1990er-Jahre nach Deutschland gekommen sind, haben inzwischen Führungspositionen oder andere verantwortungsvolle Aufgaben in den Gemeinden übernommen“, betont der Zentralrat der Juden in Deutschland auf seiner Website.

Ein Beispiel dafür ist Küf Kaufmann. Der 1947 in Russland geborene Autor, Regisseur und Kabarettist lebt in Leipzig. Er ist Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde und leitet die Kultur- und Begegnungsstätte „Ariowitsch-Haus“. Durch Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Vorträge und Seminare wird hier jüdische Kultur in die Stadtgesellschaft getragen.

 

Hamburg

Hamburg
© Getty Images

Die zweitgrößte Stadt Deutschlands, einer der größten Umschlaghäfen weltweit und als Stadtstaat ein eigenständiges Bundesland: Die „Freie und Hansestadt Hamburg“ trägt ihre stolze Geschichte und ihr Selbstverständnis schon im Namen. Auch die jüdische Tradition Hamburgs reicht über 400 Jahre zurück.

Eine bedeutende Hamburger Familie waren die Warburgs. Zu ihren bekannten Mitgliedern zählen der Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Aby Warburg (1866–1929) sowie die Bankiers Max (1867–1946) und Paul Warburg (1868–1932). Die jüdische Familie hat außerdem wichtige Naturwissenschaftler hervorgebracht.

Signal gegen Antisemitismus und Rassismus

Eine Besonderheit der Hamburger Gemeinde ist, dass sie seit 1868 paralleles Wirken der jüdischen Orthodoxie und des Reformjudentums praktiziert. Auch für Hamburgs Juden bedeutete der Nationalsozialismus eine tiefe Zäsur. Die meisten mussten entweder das Land verlassen oder verloren ihr Leben in der Shoah – etwa 8.000 Menschen wurden in KZ ermordet.

Die heutige Jüdische Gemeinde der Hansestadt zählt mehr als 2.000 Mitglieder. Sie wollen an die lange Tradition in Hamburg anknüpfen: Im Februar beschloss die Hamburgische Bürgerschaft, das Parlament des Stadtstaates, den Wiederaufbau der Synagoge im Grindelviertel. Dazu wurde zunächst eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Die monumentale Bornplatzsynagoge ist 1906 im neuromanischen Stil errichtet worden, im November 1938 wurde sie verwüstet und ein halbes Jahr später zynischerweise auf Kosten der jüdischen Gemeinde ganz abgerissen. Der Wiederaufbau soll ein starkes Signal gegen Antisemitismus und Rassismus sein.

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