„Journalismus ist wichtiger denn je“
Fake, News, Social Bots, bedrohte Pressefreiheit – was können etablierte Medien diesen Entwicklungen entgegensetzen? Antworten darauf hat Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle.
Deutschland. Beim Global Media Forum (GMF) der Deutschen Welle (DW) vom 19. bis 21. Juni in Bonn treffen sich 2000 Journalisten, Medienexperten und Vertreter von Politik, Kultur und Gesellschaft aus aller Welt. DW-Intendant Peter Limbourg spricht im Interview über Fluch und Segen Sozialer Medien für den Journalismus. Und er spricht eine harte Wahrheit aus.
Herr Limbourg, das Motto des Global Media Forums 2017 lautet „Identity and Diversity“ – können Sie das Themenspektrum kurz erläutern?
Mit dem Motto für 2017 laden wir unsere Gäste aus über 100 Ländern dazu ein, über Lösungsansätze für eine zunehmend vielfältige Welt zu diskutieren, die in vieler Hinsicht verunsichert ist. Identität und Diversität sind die zentralen Begriffe, die wir unter dem Motto „The Place made for Minds“ mit vielen unterschiedlichen Influencern und Change Makern aus aller Welt diskutieren wollen.
Wie können Medien im „postfaktischen Zeitalter“ Vertrauen zurückgewinnen? Sind die etablierten Medien von der Eigendynamik der Sozialen Medien überrollt worden?
Medien kann man nicht über einen Kamm scheren. Wir definieren uns über die Zielgruppen, für die wir als Journalisten arbeiten. Eine Lokalzeitung wird nicht so schnell ein Problem mit der Glaubwürdigkeit haben. Da sind die Macher und die Nutzer ganz nah beieinander. Ein Internetportal, auf dem mutige Journalisten die Machenschaften eines Regimes bloßstellen, wird auch seine loyalen Leser finden.
Das so genannte „postfaktische Zeitalter“ hat renommierten Zeitungen wie der „New York Times“ oder der „Washington Post“ eine stetig wachsende Zahl von Abonnenten gebracht. Viele Menschen wenden sich einer vertrauenswürdigen Medienmarke zu, wenn sie akut einen höheren Informationsbedarf verspüren.
Wir Journalisten müssen täglich den Beweis antreten, dass unsere Nutzer uns vertrauen können. Das ist nicht neu, aber wir müssen heute mehr dafür tun. Wir sind in einer Phase der Nutzung digitaler Verbreitungswege, die noch keine klaren Spielregeln hat. Einerseits begrüßen wir die neuen Möglichkeiten, um schneller und besser informieren zu können und eine Relevanz im Alltag der Nutzer zu erlangen. Da über die Sozialen Medien aber jeder ungefiltert verbreiten kann, was er möchte, werden auch viele unwahre Informationen und viel Unsinn in Umlauf gebracht. Wir werden beim GMF mit den Teilnehmern deren Erfahrungen aus unterschiedlichen Perspektiven diskutieren. Gerade für Soziale Medien werden sich bestimmt interessante Ansätze finden, von denen traditionelle Medien in allen Weltregionen und Medienmärkten profitieren können.
Viele Redaktionen setzen dem Populismus eine Fakten-Offensive entgegen. Genügt das? Wie erreicht man auch jene Menschen, die Fakten als „Propaganda“ der „Lügenpresse“ zurückweisen? Schließlich findet jeder im Internet den passenden Kanal, der seine individuelle Weltanschauung bestätigt.
Sie werden nie alle mit nur einer Botschaft erreichen und das ist auch gut so. In einem funktionierenden System ist Platz für viele Meinungen und Sichtweisen. Die Aufgabe der Medien ist es, immer als unabhängig und möglichst objektiv erkennbare Angebote für die Nutzer bereitzuhalten. Hier muss es eine kritische Masse an Publikationen, Sendern und Portalen geben, die ihren Nutzern qualitativ hochwertigen Content bieten wollen – und können. Wichtig ist, dass durch diese Diskussion bei vielen Medienmachern der Blick für das Wesentliche neu geschärft wurde. Um auch medienkritische Nutzer zurückzugewinnen, ist ein Mindestmaß an Selbstkritik bei Medienmachern unerlässlich, wenn Fehler gemacht wurden.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass man vermutlich niemanden aus seiner Filterblase holen kann, der sich dort eingerichtet hat.
Wie groß ist die Gefahr, dass Social Bots Meinungen manipulieren und Wahlen beeinflussen?
Darüber wird viel diskutiert. Die mögliche Gefahr lässt sich aber nicht präzise abschätzen. Wenn man über die rein technischen Möglichkeiten für einen Hackerangriff nachdenkt, muss man besorgt sein. Ob die Leben rettende Software in einem Krankenhaus lahmgelegt wird, oder die Stromversorgung eines dicht bevölkerten Ballungsgebietes. Das sind leider real gewordene Gefahren, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Das beste Mittel gegen Social Bots ist eine Presse, die Nutzer sozialer Medien und die Öffentlichkeit insgesamt sensibilisiert.
Ein weiterer Schwerpunkt des Global Media Forums ist künstliche Intelligenz im Journalismus. Schon längst produzieren Textroboter Sport-, Finanz- und Wetterberichte. Ist das ein Fluch oder ein Segen?
Keine Maschine kann eine Geschichte recherchieren und die menschliche Komponente hinter einer Schlagzeile verständlich und emphatisch erzählen. Wenn es um das reine Sammeln von Wetterdaten oder Börsenzahlen geht, ist die Automatisierung sicher hilfreich und zeitsparend. Und ja, das kann Journalisten Zeit verschaffen, um beispielsweise Themen zu recherchieren und Analysen zu schreiben und Hintergründe zu erklären.
Die Digitalisierung des Arbeitsumfelds von Journalisten ist nicht mehr aufzuhalten und hat klare Vorteile. Wir haben die Möglichkeit, mit so vielen Menschen wie nie zuvor in einen echten Dialog einzutreten. Das ist eine großartige Chance, zu erfahren, was das Publikum von Beiträgen hält, welche Themen für wen auf der Welt relevant sind. Solche direkten Rückmeldungen sind für einen internationalen Sender wie die Deutsche Welle besonders wichtig. Die DW braucht authentische Geschichten – keine von Algorithmen produzierten. In weit über hundert Ländern haben wir Reporter vor Ort, die von der dortigen Realität berichten. Viele dieser Beiträge finden Verbreitung durch unsere weltweiten Kanäle, vom Fernsehen über Twitter und Facebook bis zu Instagram.
Entscheidend ist aber nicht der Übertragungsweg, sondern der Inhalt. Journalismus ist wichtiger denn je, weil wir in einer Periode großer Veränderungen leben. Und da sind Einordnung und Bewertung unabdingbar.