Hochdeutsch und Niederdeutsch
Wie sprechen Saarländer und Sachsen? Wie viele Dialekte gibt es? Sprachforscher Stephan Elspaß erklärt Eigenarten der deutschen Sprache.
Stephan Elspaß, Sprachforscher an der Universität Salzburg, ist Mitherausgeber des „Atlas zur deutschen Alltagssprache“ (www.atlas-alltagssprache.de). Der Mitmach-Atlas sammelt und zeigt, wie unterschiedlich die Dialekte im deutschsprachigen Raum sind.
Herr Elspaß, wie viele deutsche Dialekte gibt es?
Das kann niemand so genau sagen. Früher sprach eigentlich jedes Dorf seinen eigenen Dialekt. Heute gibt es großräumigere Varietäten. Und selbst wer nicht Dialekt spricht, hat in seinem Hochdeutsch regionale Unterschiede – wir reden da von „regionalen Akzenten“ und „Regiolekten“.
Was sind das für regionale Unterschiede?
Das sind zum einen lautliche Merkmale, also ein gewisser Akzent im Hochdeutschen. Und dann der Wortschatz. An beidem erkennt man ziemlich gut, woher jemand kommt – das eine Standard-Deutsch gibt es nicht.
Wo sind die regionalen Unterschiede größer: zwischen Nord und Süd oder zwischen Ost und West?
Zwischen Nord und Süd. Es gibt eine Grenze, die wir Sprachforscher die „Mainlinie“ nennen – sie ist landläufig auch unter dem Namen „Weißwurstäquator“ bekannt: Sie verläuft – wie der Name schon sagt – ungefähr entlang des Mains, und ab der Main-Mündung knickt sie im Westen etwas nach Südwesten ab. Grob gesagt verläuft sie von Hof bis Mannheim. Diese Linie entspricht etwa der Grenze zwischen dem historischen Einflussbereich Preußens im Norden und den südlich davon gelegenen Staaten. Und sie stellt bis heute eine wichtige Sprach- und Mentalitätsgrenze dar. Zwei Beispiele: Nördlich der Mainlinie sagt man eher „hat gestanden“ und „Kneifzange“, südlich „ist gestanden“ und „Beißzange“.
Und zwischen Ost und West…
… sind die Unterschiede weniger groß. Nehmen wir zum Beispiel die Dialekte in Sachsen und im Saarland, jeweils mitteldeutsche Dialekte. In vielem sind sie sich sehr ähnlich. Aber beide Regionen haben eigene Wortschöpfungen: Im Saarland sagt man zum Beispiel oft „holen“ statt „nehmen“ – „kannst du mich in die Stadt mitholen?“. Und süße Teilchen nennt man hier „Kaffeestückchen“, das sagt man nirgendwo sonst. Beim Sächsischen haben sich dagegen zum Beispiel Wörter aus dem Sorbischen eingeschlichen, etwa „Plinse“ für Pfann- oder Eierkuchen. Und hier fällt die besondere Lautung auf: Die Vokale werden zentralisiert, also im zentralen Mundraum geformt.
Die sächsische Kanzleisprache galt lange als sehr prestigereich. Auch Martin Luther übersetzte die Bibel in eine eher ostmitteldeutsch geprägte Sprache.
Das Sächsische hat in den letzten zwei Jahrhunderten enorm an Prestige verloren. Heute versuchen die Jüngeren eher, diesen Regiolekt zu vermeiden.
Das Institut für Deutsche Sprache hat allerdings festgestellt: In Sachsen und im Saarland ebenso wie in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Thüringen wird noch am häufigsten Dialekt gesprochen. Woran liegt das?
Das liegt daran, dass die mittel- und süddeutschen Dialekte hochdeutsche Dialekte sind und daher mehr Ähnlichkeit mit der hochdeutschen Schriftsprache haben. Die niederdeutsche Schriftsprache dagegen ist untergegangen. Im Norden war also der Druck viel höher sich anzupassen. Wenn auch der Dialekt dann nicht gepflegt wird, ist er im Nu innerhalb von drei Generationen weg.
Entstehen denn auch neue Dialekte?
Das sogenannte „Kiezdeutsch“ wird gerne als neue Varietät bezeichnet, wenn auch nicht als Dialekt. Es setzt sich zusammen aus Merkmalen mehrerer Sprachen, die miteinander in Kontakt stehen. Zum Beispiel das Fehlen von Artikeln und Präpositionen im Türkischen, daraus entstehen dann Sätze wie „Kommst du Bahnhof?“. Das sagen dann gerne auch Jugendliche mit deutschem Sprachhintergrund. Das ist ganz klar ein urbanes Phänomen.