Jung, jüdisch, queer
Helene Shani Braun ist auf dem Weg, jüngste Rabbinerin Deutschlands zu werden. Wir sprechen mit ihr über ihre Zukunftsvisionen.
Helene Shani Braun sitzt auf ihrem Berliner Balkon und trägt eine Kette mit der Aufschrift „LOVE“ um den Hals, das O wurde mit einem silberner Davidstern ersetzt. Die 24-Jährige angehende Rabbinerin ist vieles: jung, jüdisch, weiblich, queer und vor allem unkonventionell.
Frau Braun, warum wollen Sie Rabbinerin werden?
Ich war vor ein paar Jahren auf einer Konferenz der Dachorganisation World Union for Progressive Judaism in Amerika und jeder Teilnehmende hat ein Namensschild getragen. Bei einigen jungen Frauen stand „Rabbinerin“ als Beruf darauf. Das hat mich fasziniert und ich bin mit ihnen ins Gespräch gekommen. Ich fand es ein sehr spannendes Berufsfeld. Ich bin schon als Kind gerne in die Gemeinde gegangen und fand die Rabbiner dort immer cool. Sie kennen sich richtig gut aus, man kann sie alles fragen. In den vergangenen Jahren ist dann der Gedanke immer stärker gereift, dass ich das auch beruflich machen will.
Wie wird man Rabbinerin?
Seit 2018 bin ich am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam und werde dort zur Rabbinerin ausgebildet. Das Studium ist in zwei Teile gegliedert: Ich studiere Jüdische Theologie an der Universität Potsdam und absolviere eine praktische Ausbildung am Kolleg. Dort lernen wir dann zum Beispiel, wie man Gottesdienste leitet und Feiertage vorbereitet. Ein Schwerpunkt ist aber auch die Seelsorge. Als Rabbinerin oder Rabbiner begleitest du Menschen durch ihr Leben – von der Geburt bis zum Tod. Du bist eine wichtige Ansprechperson in Krisen oder vor wichtigen Entscheidungen, dafür braucht man viel Übung und Erfahrung.
Was sehen Sie als Ihre wichtigste Aufgabe?
Ich will mitgestalten, wie das Judentum in Zukunft aussieht und für mehr Sichtbarkeit kämpfen. Viele haben in ihrem Umfeld keinerlei Berührungspunkte mit jüdischen Personen, aber trotzdem gibt es diese Religion auch in Deutschland. Sie wird gelebt und muss gesehen werden.
Woran liegt es, dass junge Leute den Gemeinden oft fernbleiben?
Ich glaube, das hat zwei Gründe: Zum einen gibt es nicht ansatzweise so viele Synagogen wie Kirchen in Deutschland. Wenn du auf dem Dorf wohnst, dann hast du Glück, wenn überhaupt eine Synagoge in der näheren Umgebung ist. Und wenn du dann dort hingehst und dort niemand in deinem Alter ist, kommst du womöglich kein zweites Mal. Zum anderen werden viele Themen, die junge Menschen beschäftigen, in den Gemeinden nicht ausreichend besprochen: Feminismus, LGBTQ-Rechte und so weiter. Ich hatte Glück: In meiner Gemeinde in Hannover gab es ein Jugendzentrum mit einem coolen Programm und jungen JugendleiterInnen. Wir müssen vermehrt solche Angebote schaffen.
Wie versuchen Sie, jungen Menschen zu erreichen?
Wege gibt es viele, über Instagram zum Beispiel. Ich versuche einfach, mit so vielen jungen Menschen wie möglich ins Gespräch zu kommen und dabei rauszufinden, was ihnen in den Gemeinden fehlt, um sich dort wohlzufühlen. Ich spreche auch offen über meine Queerness und will vermitteln, dass dafür Platz in den Gemeinden ist.
Sie sind Gründungsmitglied der Initiative Keshet Deutschland, einer wichtige Anlaufstelle für queere jüdische Jugendliche. Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Ich will klar machen, dass sich niemand zwischen seiner jüdischen und queeren Identität entscheiden muss. Wir wollen keine jüdischen LGBTQ-Gemeinden erschaffen, sondern dafür sorgen, dass Queerness ein selbstverständlicher Teil in den bestehenden Gemeinden wird. Anfangs haben wir uns mit der Initiative noch stark auf Berlin konzentriert, mittlerweile gibt es aber viele regionale Gruppen, die in ganz Deutschland vertreten sind und Veranstaltungen planen.
Sie haben gesagt, dass Sie eine Konferenz in Amerika inspiriert hat. Wie wichtig ist Ihnen der internationale Austausch mit anderen Rabbiner und Rabbinerinnen?
Ich glaube, Austausch ist immer wichtig. Egal ob mit anderen Jüdinnen und Juden, anderen Religionen, deutschlandweit oder global. Also an sich ist die jüdische Welt sehr gut vernetzt durch eben diese Dachorganisationen. Ich bekomme viel mit aus Australien oder den USA, Europa oder Israel. Durch die Corona-Pandemie hatte ich nun oft auch die Möglichkeit, an digitalen Gottesdiensten am anderen Ende der Welt teilzunehmen. Ich freue mich aber auch, wenn ich wieder zu Konferenzen reisen kann und dort neue Leute treffe, mit ihnen zu lernen, zu feiern und zu essen.
Noch eine Frage zum Schluss: Was muss eine Rabbinerin oder ein Rabbiner – egal wie alt – unbedingt mitbringen?
Offenheit. Offenheit gegenüber dem Gelernten, Offenheit gegenüber Menschen und vor allem Offenheit gegenüber Neuem.