Ein Blick auf Europa aus Polen
Die Union muss mit ihren Bürgerinnen und Bürgern in einer verständlichen und integrativen Sprache sprechen, sagt Adriana Rozwadowska von der Tageszeitung Gazeta Wyborzca.
Wir haben Journalisten aus europäischen Staaten nach der Zukunft Europas gefragt – lest hier die Antwort von Adriana Rozwadowska. Sie schreibt für die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborzca.
Als Journalistin habe ich schon öfter die Vertretung der Europäischen Kommission in Polen besucht: Ausweis zeigen, das erste Tor, ein vom Sicherheitspersonal bedienter Aufzug, dann die zweite Schleuse – und endlich eine massive, sicherlich kugelsichere Tür. Ich glaube, ganz genau so wird die Union von den Polen gesehen.
„Es ist eine imaginäre Gemeinschaft, die für uns wenig bringt“, sagte 2018 Präsident Andrzej Duda. „Wir sind die Union“, erinnerte er sich plötzlich ein Jahr später. Danach änderte er noch öfter seine Meinung. Mitte Januar 2020 sagte er: „Sie werden uns nicht in fremden Sprachen aufzwingen, welche Staatsform wir haben sollen.“ Zwei Wochen später: „Unsere Mitgliedschaft in der Union ist nicht gefährdet.“
Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) interpretiert die Idee eines Geeinten Europa nicht ideell sondern instrumentell, entsprechend ihrem eigenen, oft vorläufigen, politischen Interesse. Wie viele rechte Parteien in Europa ist auch die PiS bestrebt, den unzufriedenen Wählern die Union als wohlfeilen Schuldigen darzustellen. Trotzdem sieht es so aus, als sei die Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union unstrittig – die Union befürworten bis zu 80 Prozent der polnischen Bevölkerung.
Eine abstrakte Idee
Wovor habe ich also dennoch Angst? Vor dem, was in Großbritannien passiert ist, und was sogar die Anstifter des Brexit verwundert hat: Sie haben auf Risiko gespielt – und zufällig gewonnen. Denn der Boden ist fruchtbar. Auf die Frage, welche Vorstellung die Polen von der Union haben, würde ich sagen: keine. Für die Polen ist die Union eine abstrakte Idee. Wir sind nicht wie die Deutschen und Franzosen in die Union hineingewachsen. In den 16 Jahren ihrer EU-Mitgliedschaft ist bei den Polen kein Gefühl einer Interessengemeinschaft entstanden, die auf Kompromissen beruht.
Was ist die Union für die Polen also? Auf der einen Seite bedeutet sie den Verzicht auf Passkontrollen und Geld aus EU-Subventionen; auf der anderen Seite aber auch unverständliche Fernsehaufnahmen von Sitzungen, in denen seriöse Herren in Anzügen und Damen in Kostümen über komplizierte Regelungen diskutieren. Darüber hinaus teilen sowohl die Bürger als auch die polnischen Politiker den gemeinsamen Wunsch, nach einem möglichst geringen Einfluss der Union auf Polen.
Wenn die Union neben China und den USA ein wichtiger Akteur auf der globalen Bühne bleiben will, muss sie ihre inneren Beziehungen stärken und sich in Richtung Föderalismus bewegen. Aber dieser Weg ist schwierig zu gehen, wenn die einzige für die Bürger verständliche und von den Politikern verbreitete Alternative die Rückkehr zu den Nationalstaaten ist. Es war ein sehr großer Fehler, dass nach dem Brexit nichts unternommen wurde, um das Image der EU zu verbessern.
Die Union selbst muss den Bürgern und Bürgerinnen aus neuen Mitgliedsstaaten entgegenkommen und anfangen, mit einer neuen, integrativen und verständlichen Sprache zu sprechen. Sonst werden die Worte des polnischen Präsidenten, dass man dank der EU „keine normalen, sondern nur Sparglühbirnen kaufen kann, weil die Union sie verboten hat“, weiterhin auf fruchtbaren Boden fallen.
Adriana Rozwadowska arbeitet seit 2015 als Journalistin für die Gazeta Wyborcza, die größte Tageszeitung Polens. Im Wirtschaftsressort schreibt sie über den Arbeitsmarkt, Soziales und Politik.
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