Ein Tor nach Deutschland und nach Polen
Porta Polonica ist die digitale Dokumentationsstelle polnischen Lebens in Deutschland – und ein Brücke zwischen den Ländern.

Es gibt ein Tor, das nach Deutschland führt und nach Polen. Nicht in der einen Richtung hierhin und der anderen dorthin, sondern, wenn man durch es hindurchgeht, in beide Länder. Porta Polonica, ein lateinischer Name, das Polnische Tor, lässt sich leicht durchschreiten, es ist ein digitales Tor, offen zu jeder Zeit für jeden. Jacek Barski ist Geschäftsführer von Porta Polonica.
Was ist Porta Polonica, Herr Barski?
Wir sind eine deutsche Institution, die von der Bundesregierung gefördert wird, die zeigt, wie vielfältig Kultur und Geschichte der Pol:innen in Deutschland sind. Deutschland und Polen verbindet eine jahrtausendealte Nachbarschaft, aber auch eine tragische Vergangenheit, ganz besonders während des Zweiten Weltkriegs. Deswegen erfüllen wir neben der Aufgabe eines Museums, polnische Spuren in Deutschland zu erforschen und zu vermitteln, auch eine Brückenfunktion zwischen Deutschen und Polen.
2013 nahm Porta Polonica ihre Tätigkeit auf, 2014 ging das Portal online. Die digitale Dokumentationsstelle zur Kultur und Geschichte der Polen und Polinnen in Deutschland wurde aufgrund des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 9. Juni 2011 initiiert. Sie wird institutionell von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert. Die Trägerschaft hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) übernommen. Angesiedelt ist Porta Polonica bei den LWL-Museen für Industriekultur, Standort Zeche Hannover in Bochum. Projektpartner ist der Bund der Polen in Deutschland e. V. .
Wer durch die Porta Polonica tritt, findet sich wieder auf einer Landkarte Deutschlands und Polens, in einem „Atlas der Erinnerungsorte“. Diese Startseite ist wie das gesamte Portal dreisprachig, neben Deutsch und Polnisch auch Englisch.
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Deutsch und Polnisch sind klar, aber warum Englisch?
Die polnische Diaspora umschließt die ganze Welt. Auch wenn es keine genauen Zahlen gibt, gehen wir davon aus, dass etwa 20 Millionen Menschen mit polnischen Wurzeln außerhalb Polens leben, wahrscheinlich 2,5 bis 3 Millionen von ihnen in Deutschland. Für sehr viele dieser Polen oder ihrer Vorfahren war Deutschland, insbesondere in der Zeit nach 1945, das Sprungbrett, der Startpunkt in eine neue Heimat irgendwo auf der Welt. Von Deutschland aus sind sie nach Australien, Südamerika, Nordamerika oder in europäische Länder, vor allem nach Großbritannien, Frankreich oder Italien ausgewandert.
Mit diesen Menschen haben Sie zu tun?
Ja, und sehr viele sprechen Englisch. Wir werden zum Beispiel aus Australien angeschrieben von jemandem, der nach den Wurzeln seiner Familie sucht. Aber sie suchen eben nicht in Polen, sondern in Deutschland, weil diese Menschen oder ihre Vorfahren in Deutschland geboren wurden oder aus Deutschland ausgewandert sind.
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Jacek Barski, Geschäftsführer Porta Polonica seit 2013, wurde 1958 in Wrocław geboren. Er studierte Philosophie und Kunsttheorie an der Universität Wrocław. 1981 verließ Barski Polen nach Repressionen durch den Sicherheitsapparat, zwei Jahre später erhielt er politisches Asyl in der Bundesrepublik Deutschland. 1992 promovierte er an der Universität Münster kuratierte er an verschiedenen Museen in Deutschland vor allem Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst tätig.
Diese Polen in der Diaspora haben Wurzeln in Deutschland?
Sehr viele von ihnen. Auch das ist Teil unserer gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichte, ihres dunkelsten Kapitels. Nach Kriegsende 1945 waren mehr als zwei Millionen Polinnen und Polen in Deutschland gestrandet, genaue Zahlen gibt es nicht. Überlebende des Nazi-Terrors: ehemalige Zwangsarbeiter, die verschleppt worden waren, ehemalige KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene, aber auch Soldaten, die in den polnischen Einheiten auf Seiten der West-Alliierten gekämpft hatten. Sie wussten nicht wohin, ihre Heimat hatten sie verloren. Polen stand unter stalinistischer Herrschaft, große polnische Gebiete waren der Sowjetunion zugeschlagen worden. Diese Menschen wurden von den West-Alliierten als Displaced Person (DP) bezeichnet, als eine „Person, die nicht an diesem Ort beheimatet ist“. Sie lebten zum Teil bis 1955 in Deutschland. Und von hier aus zogen mindestens zwei Drittel von ihnen weiter in die Welt. Für sie und ihre Nachkommen produzieren wir unsere Seite auch auf Englisch.
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Für dieses, wenn man so will, Sprungbrett hinaus in die Welt gibt es eine physische Manifestation, den Ort Haren im Emsland. Mehr als 500 Kilometer von Polen entfernt, war Haren zwischen 1945 und 1948 eine polnische Exklave im äußersten Westen Deutschlands. Die britische Militärregierung hatte, um tausende DP polnischer Herkunft unterzubringen, kurzerhand die etwa 3.500 deutschen Einwohner aus Haren vertrieben, sie hatten zwei Stunden Zeit, ihre Häuser zu verlassen. So hieß der Ort für diese Jahre Maczków und war gänzlich polnisch.
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Einverständniserklärung öffnenIn Maczków und in der Umgebung lebten unter anderen rund 2.000 Soldaten der 1. Polnischen Panzerdivision, tausende ehemalige Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen aus den umliegenden Emslandlagern und etwa 2.000 polnische Mädchen und Frauen, die nach dem Warschauer Aufstand als Soldatinnen interniert worden waren. Für diese Menschen war Maczków ein „Paradies auf Zeit“, sagt Barski: „Selbstverständlich mit tragischen Folgen für die deutsche Bevölkerung“.
Maczków hat vermutlich nicht gerade zur Verständigung beigetragen?
Ja, aber auch nein. Zunächst natürlich nicht. Mit der älteren Generation der Deutschen, die damals vertrieben worden waren, konnte man praktisch überhaupt nicht reden. Das erste Treffen 1990 von ehemaligen Maczkówianern und Harenern verlief sehr spannungsgeladen. Aber heute ist es ganz anders: Die Menschen in Haren sind stolz darauf, dass ihre Stadt ein besonderer Teil der europäischen Geschichte ist, es gibt dort ein Dokumentationszentrum, die Inselmühle, deren Bau wir mit Freude begleitet haben. Und schließlich haben wir ganz aktuell eine Graphic Novel zu dieser eigentlich unglaublichen Geschichte herausgebracht. Sie heißt Maczków – natürlich.
Wir haben viel über die Vergangenheit gesprochen, aber Porta Polonica ist genauso ein Tor zu Gegenwart?
Das klassische museale Dokumentieren, Erforschen und Vermitteln der polnischen Spuren in Deutschland ist unsere Hauptaufgabe. Wir vermitteln aber auch Kultur, kuratieren Ausstellungen und „veranstalten Kultur“. Die polnische Community in Deutschland wurde lange als eine unsichtbare Community bezeichnet, weil Polen unglaublich gut integriert sind. Lukas Podolski, Miroslav Klose, die Fußball-Weltmeister, Marcel Reif, der Sportreporter – sie werden nicht gerade selbstverständlich als erstes mit ihrer polnischen Herkunft verbunden. Aber das ändert sich. Ob in der Geschichte oder der Gegenwart, ob im Sport, in Kunst oder Musik, Stück für Stück verhelfen wir mit der Arbeit von Porta Polonica der polnischen Community in Deutschland, etwas sichtbarer zu werden.
Eine Apotheke in Berlin, die Biografie des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki, das Hambacher Fest von 1831, Leopold Tyrmand (Bild oben) und der Frankfurter – Orte, Menschen oder Ereignisse, die zur Kultur und Geschichte der Polen in Deutschland gehören. Sie finden sich im Atlas der Erinnerungsorte der Porta Polonica. Ziel sei es, so heißt es auf dem Portal, „die Orte der vielfältigen Kultur und der wechselvollen Geschichte der Polen in Deutschland sichtbar zu machen, ein neues Bewusstsein für deren Bedeutung in Europa zu schaffen und ein Forum für den Austausch über Erinnerung, Geschichte, Identität und Kultur herzustellen“.