„Es geht darum, Leben zu retten“
Krieg in der Ukraine: Pavlo Titko, Leiter der Malteser-Hilfsorganisation im Land, über die Unterstützung für Geflüchtete.
Seit Langem unterstützt die Hilfsorganisation der Malteser in der Ukraine Menschen in Not. Durch den Angriff Putins ist das Team um Leiter Pavlo Titko noch mehr gefordert. Wir haben mit Titko über die aktuelle dramatische Situation und die Hilfe für Geflüchtete gesprochen.
Herr Titko, wir erreichen Sie in Lwiw im Westen der Ukraine. Wie ist die Situation dort?
Die Nervosität und die Zahl der Geflüchteten steigt täglich. Das gilt nicht nur für Lwiw, sondern auch für die anderen Orte, an denen wir Hilfe leisten. Manche Menschen kommen mit nicht mehr als der Kleidung, die sie tragen. Die Not wird größer und größer. Wichtige Lebensmittel wie Nudeln, Buchweizen, Reis oder Mehl sind kaum noch zu bekommen. Wir kaufen Fertiggerichte zum schnellen Aufkochen auf. Die sind eigentlich für Wanderer gedacht, schmecken erstaunlich gut und sind auch eine psychologische Stärkung für die Menschen in Not.
Wie helfen die Malteser darüber hinaus?
Wir verteilen aktuell zum Beispiel täglich tausende Essensportionen an verschiedenen Standorten. In Lwiw, Iwano-Frankiwsk und in Berehowe an der ungarischen Grenze haben wir drei etwas größere Logistikzentren, aber auch abseits dieser Zentren leisten wir unterschiedlichste Hilfe. Besonders wichtig ist unsere Hilfe an den Grenzen, wo die Menschen oft nach Tagen des Hungerns und der Kälte erschöpft in den Schlangen ausharren müssen. Erst gestern (1.3.2022) haben wir am Grenzübergang zu Polen eine große Feldküche mit Zelt aufgebaut. Wir möchten die Menschen mit allem Nötigen versorgen, das reicht von heißem Tee über Feldbetten bis zu medizinischer Versorgung und psychologischer Betreuung.
Welche Unterstützung erhalten Sie von den Menschen in Deutschland?
Die Hilfsbereitschaft in Deutschland ist groß. Hilfsgüter, Geld, Dienstleistungen – da ist schon sehr viel auf den Weg gebracht worden. Die erwähnte Feldküche an der Grenze zu Polen konnten wir dank eines Transports aus Trier aufbauen. Entscheidend wird sein, dass an den Grenzen flexible Lösungen für die Hilfstransporte gefunden werden, damit diese auch wirklich bei den Menschen in der Ukraine ankommen.
Seit Mai 2015 bieten die Malteser in der Ukraine Unterstützung mit dem Projekt „Psychosoziale Hilfe für intern Vertriebene“, das vom Auswärtigen Amt, der Aktion Deutschland Hilft und durch Spenden finanziert wird. Ursprünglich richtete sich das Projekt an Menschen, die aufgrund der früheren militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine ihre Heimat verloren haben. Wie ist der aktuelle Stand?
Das Projekt läuft auch im Osten der Ukraine weiter, zum Teil in umzingelten Städten, zum Teil im Untergrund. Wir helfen den Menschen in den psychischen Ausnahmesituationen zum Beispiel über Zoom, etwa den Einwohnern der unter Beschuss stehenden Stadt Charkiw. Das Projekt hatte in der Vergangenheit unterschiedliche Phasen: Es begann mit der direkten psychologischen Nothilfe zu Beginn des Konflikts in der Ostukraine. Als sich die Lage zwischenzeitlich etwas stabilisiert hatte, konnten wir auch tiefergehende therapeutische Hilfe anbieten. Das ist ganz wichtig, damit die Geflüchteten die traumatischen Erfahrungen möglichst gut bewältigen können. Jetzt eskaliert die Situation wieder, und wir werden die psychologische Hilfe auch im Rest des Landes anbieten. Das sind Fälle, wie der der Mutter, die mit ihren Kindern aus Charkiw geflohen ist: Nach tagelanger Flucht stand sie zwei Tage an der Grenze im Stau; ihre Kinder drohten zu erfrieren. Sie wollte sich umbringen. Wir konnten ihrem Hilferuf mit Trost und Zuspruch begegnen. Es geht um nicht weniger als darum, Menschenleben zu retten.