Die Pioniere der Partnerschaft
Rheinland-Pfalz und Burgund schlossen schon vor dem Élysée-Vertrag eine Partnerschaft. Davon profitieren noch heute junge Menschen.
Ein dreimonatiges Praktikum in einem Museum für schwarze Johannisbeeren hatte Anna Keller nie geplant. Kein Wunder: „Ich wusste gar nicht, dass es so was gibt“, sagt die 19-Jährige aus Speyer und lacht. Im Sommer 2022 führte sie Besuchergruppen auf Französisch, Englisch und Deutsch durch das Museum und die angeschlossene Likörfabrik im französischen Nuits-Saint-Georges nahe Dijon im Burgund. Sie leitete zudem die Verkostungen und beriet Kundinnen und Kunden beim Einkauf. „Ich hatte eine richtig gute Zeit und habe viel gelernt“, erinnert sich Keller. Erwartungen an ihren Aufenthalt habe sie zuvor nicht gehabt. „Ich habe mich einfach überraschen lassen.“
Ein Abkommen noch vor dem Élysée-Vertrag
Möglich gemacht hat dieses Praktikum die Partnerschaft zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und dem französischen Burgund, seit 2016 Bourgogne-Franche-Comté. Partnerschaften zwischen deutschen und französischen Regionen und Städten sind zwar längst allgegenwärtig. Vor mehr als 60 Jahren waren Rheinland-Pfalz und das damalige Burgund aber noch Pioniere. Denn am 26. Juni 1962 besiegelten sie die erste Partnerschaft zwischen einem deutschen Bundesland und einer französischen Region. Erst ein halbes Jahr später – am 22. Januar 1963 – schlossen Deutschland und Frankreich den Elysée-Vertrag, der als Meilenstein für Aussöhnung und Freundschaft der beiden Nachbarländer gilt. Zwischen der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz und Dijon, der Hauptstadt des Burgund, besteht sogar bereits seit 1958 eine Städtepartnerschaft.
Die Partnerschaft der Regionen ermöglicht es auch jungen Menschen aus dem Burgund, Zeit in Rheinland-Pfalz zu verbringen. „Ich wollte neue Erfahrungen sammeln“, sagt Cyprien Collas, der im Frühjahr 2022 in Ludwigshafen in der Niederlassung eines Motorradherstellers arbeitete. Der 20-Jährige aus Besançon brauchte das Praktikum für sein Studium der Betriebswirtschaft. Er half Kunden bei der Beratung und nahm auch an Treffen der Motorrad-Community teil. „Es war sehr interessant zu erfahren, wie die Betriebswirtschaft hinter so einem Geschäft funktioniert“, sagt er. Motorräder seien sein großes Hobby. Dass sein Chef selbst auch Franzose war, habe ihm das Arbeiten erleichtert.
Zusammenarbeit von Wirtschaft bis Kultur
Das Spektrum der Zusammenarbeit zwischen Rheinland-Pfalz und Bourgogne-Franche-Comté reicht von rund 100 Schulpartnerschaften über deutsch-französische Studiengänge bis hin zur Unterstützung von Unternehmen bei der Suche nach Wirtschaftskontakten. Unter anderem für die Vermittlung von Praktika für Menschen zwischen 18 und 30 Jahren existieren das Haus Burgund in Mainz und das Maison Rhénanie Palatinat (Haus Rheinland-Pfalz) in Dijon seit den 1990er-Jahren als Anlaufstellen und offizielle Vertretungen der Regionen. Sie helfen nicht nur bei der Suche nach dem passenden Praktikumsplatz, sondern auch bei der Wohnungssuche.
Seit Bestehen des Programms haben sich nach Angaben des Haus Burgund in beiden Ländern rund 1.400 junge Menschen für ein Auslandspraktikum beworben, pro Jahr sind es im Schnitt 30. Doch damit nicht genug: In Rheinland-Pfalz organisiert zum Beispiel das Haus Burgund Konzerte von Musikerinnen und Musikern aus der französischen Partnerregion oder den jährlichen Burgundermarkt mit Spezialitäten aus der französischen Region im Zentrum von Mainz.
In den vergangenen Jahren wurde die Zusammenarbeit zwischen den Regionen immer wieder erweitert. So gibt es seit 1995 einen Künstleraustausch, der 2002 auch eine vertragliche Grundlage bekam. Mit einem Aufenthaltsstipendium können Künstlerinnen und Künstler dadurch in der Partnerregion arbeiten. 2005 wurde das Stipendium auf Schriftstellerinnen und Schriftsteller erweitert. Und 2014 beschlossen die beiden für ihre Weine bekannten Regionen, beim Weinbau zusammenzuarbeiten.
Vor allem aber ermöglichen alle Programme Austausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern, gerade auch zwischen jungen Menschen. Die Deutsche Keller und der Franzose Collas erinnern sich gerne an ihre Zeit im Nachbarland. Keller freut sich etwa, wie sie immer sicherer in der fremden Sprache wurde: „Am Anfang hatte ich großen Respekt davor, Führungen auf Französisch zu machen.“ Zunächst habe sie die Vorträge deshalb nur für jeweils zwei Personen gehalten. „Am Ende habe ich für 20 bis 30 Menschen Führungen gemacht. Wenn man gezwungen ist, die Sprache zu sprechen, spricht man schnell flüssiger“, sagt sie. „Man muss sich auf das Abenteuer einlassen.“ Eine Erfahrung, die Collas teilt. Zu Beginn habe er Schwierigkeiten mit den deutschen Ausdrücken gehabt, sagt er. Mit der Zeit sei es ihm leichter gefallen, Deutsch zu sprechen.
Beide schlossen auch Freundschaften in ihrer Zeit im Nachbarland, die sie nach wie vor mit der Region verbinden. So hat Collas weiter Kontakte nach Rheinland-Pfalz, vor allem zu seiner Wohngemeinschaft in Ludwigshafen. Damals hängte er an sein Praktikum noch einen Sommerjob als Mechaniker dran. Am Ende blieb er fünf Monate in Rheinland-Pfalz. Keller ging zwar gleich wieder zurück nach Deutschland, kehrte jedoch schnell wieder nach Frankreich zurück: „Im August war mein Praktikum zu Ende, aber im September war ich schon wieder in der Gegend, um Freunde zu besuchen.“