Investitionen in die Zukunft
Die Ukraine Recovery Conference 2024 lotet neben den Möglichkeiten militärischer Unterstützung die wirtschaftlichen Bedingungen für den Wiederaufbau aus.
Penny Pritzker ist die US-Sonderbeauftragte für die wirtschaftliche Erholung der Ukraine. Am ersten Tag der Ukraine Recovery Conference 2024 (URC 2024), zu der das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einladen, ist sie Teilnehmende eines Podiums, das sich mit den wirtschaftliche Voraussetzungen für den Wiederaufbau des kriegsgebeutelten Landes befasst. Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Eröffnung darauf hingewiesen: Ohne das Engagement von Unternehmen wird das nur sehr schwer zu schaffen sein. „Angesichts der Dimension, über die wir hier reden, muss privates Kapital hinzukommen“, so Scholz. Anders sei der gewaltige Finanzbedarf von 500 Milliarden US-Dollar (464 Milliarden Euro) Wiederaufbauhilfe, mit dem die Weltbank in den nächsten zehn Jahren rechnet, kaum zu stemmen.
Auch Pritzker ist dieser Meinung. Allerdings wüsste sie als frühere Unternehmerin ziemlich genau, was wohl vielen der anwesenden Wirtschaftsvertreterinnen und -vertretern durch den Kopf ginge, so die US-Politikerin in Richtung des Publikums: „Sie werden sich jetzt fragen: Warum sollte ich ausgerechnet in der Ukraine investieren? Wirklich sicher ist mein Geld dort ja wohl nicht.“ Auf den ersten Blick würde das vielleicht so wirken, so Pritzker weiter, aber eben nur auf den ersten. „In Wirklichkeit ist das eine Riesengelegenheit für Sie alle.“
Bedingungen für Investitionen verbessern
Gemeint sind damit nicht nur die Rohstoffe, über die das Land verfügt oder die beeindruckenden industriellen Produktionskapazitäten, sondern der Wille der Ukrainerinnen und Ukrainer, die eigene Wirtschaft zu reformieren und sich an den Lebensstandard der EU anzunähern. Mehrfach wurden die erfolgreichen Reformen gelobt, zumal unter den schwierigen Bedingungen des andauernden russischen Angriffskriegs. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach sich im Beisein des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj deshalb auch für möglichst rasche Beitrittsgespräche mit der Ukraine aus.
Hinzu kommt die hohe Bereitschaft der unterstützenden Länder, Bedingungen für ein günstiges Investitionsumfeld zu schaffen. Ein neu gegründetes „Business Advisory Council“ soll Unternehmerinnen und Unternehmer der Geberländer künftig dabei unterstützen, in der Ukraine zu investieren. „Dabei geht es zum einen um akute Nöte wie im Bereich Rüstung und Energie, mittel und -langfristig aber auch um den Aufbau von Strukturen oder die Bereitstellung von Fachkräften“, erläuterte Christian Bruch, CEO von Siemens Energy und Vorsitzender des neuen Beratergremiums.
Neue Fachkräfte-Allianz
Besondere Unterstützung bei der Gewinnung von Fachkräften wird die Ukraine künftig von der Fachkräfte-Allianz „Skills Alliance for Ukraine“ erhalten, die auf der Konferenz von Entwicklungsministerin Svenja Schulze vorgestellt wurde. Die Allianz aus über 50 internationalen Organisationen, Staaten und Unternehmen will in den nächsten drei Jahren insgesamt 180.000 ukrainische Fachkräfte qualifizieren und unterstützen. Die Initiative richtet sich dabei vor allem an junge Menschen, Binnenvertriebene und Frauen. „Auf diese Weise leisten wir der Ukraine wichtige Unterstützung in Kriegszeiten und beim Wiederaufbau“, so die Ministerin. „Egal, wie oft Russland Stromleitungen, Krankenhäuser oder Gebäude zerstört, die Ukrainer werden das Wissen und die Fähigkeiten haben, sie wiederaufzubauen.“
Auch neue Vereinbarungen im Zusammenhang mit einer militärischen Unterstützung der Ukraine spielen eine wichtige Rolle bei der Konferenz. Eine der wirksamsten Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaftskraft und damit des Wiederaufbaus der Ukraine sei eine effektive Luftabwehr, brachte es die ukrainische Wirtschaftsministerin Yuliia Svyrydenko auf den Punkt. „Unsere wichtigste ökonomische Ressource sind die Menschen. Und diese gilt es vor russischen Bomben zu schützen.“ Präsident Selenskyj bedankte sich mehrfach bei Bundeskanzler Scholz für die Hilfe, die sein Land bei der Abwehr russischer Raketen und Drohnen erfahren habe. „Im Augenblick ist Luftverteidigung alles.“
Hilfe für die Ukraine im Energiesektor
Eines der primären Ziele der russischen Streitkräfte ist die Energieinfrastruktur. Bereits neun Gigawatt Leistung seien durch Bomben ausgefallen, so Selenskyj. Das betreffe 80 Prozent der Wärmeerzeugung und 30 Prozent der Wasserkraft. Auf der Konferenz geht es auch darum, konkrete Partnerschaften für den Wiederaufbau einer resilienten Energieinfrastruktur anzubahnen. Wie verheerend sich die Zerstörung in diesem Bereich auswirkt, davon konnte sich Außenministerin Annalena Baerbock bei einer ihrer Reisen in die Ukraine selbst ein Bild machen, wie sie berichtet. „Ich habe gesehen, welche Zerstörung über 80 Raketen und Drohnen am Wärmekraftwerk Trypillja anrichteten: eine inzwischen zerstörte Lebensader für drei Millionen Menschen.“
Wie halten die Ukrainerinnen und Ukrainer das durch? Außenminister Dmytro Kuleba vertraut auf den Durchhaltewillen seiner Landsleute. Vor einiger Zeit habe er einen jungen Mann auf der Straße getroffen, der auswandern wollte, weil er nicht glaubte, dass das Land sich von den Schäden erholen könne, erzählte er auf einem der Eröffnungspanels. „Ich habe ihm gesagt, schau dir an, wie es in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg aussah. Da war die Zerstörung weit schlimmer. Und trotzdem haben die Menschen es geschafft.“ Nach einiger Zeit sah er ihn wieder. „Ich war überrascht und fragte ihn, warum er immer noch da sei. ,Sie haben recht‘, antwortete er. ,In Europa war es noch viel schlimmer. Also schaffen wir das auch.‘“