Gut vorbereitet auf den Neustart
Das Goethe-Institut Mexiko berät Fachkräfte zur Auswanderung nach Deutschland. Ähnliche Programme gibt es in weiteren Ländern Lateinamerikas.
Lucero Sánchez Rubio ist auf die Minute pünktlich. Vorsichtig steckt sie den Kopf in das Büro von Ivan Zamora im Goethe-Institut in Mexiko-Stadt. Zamora winkt sie freundlich herein, bittet sie, Platz zu nehmen, und fragt dann als erstes die grundlegenden Daten ab: „Wie alt bist du, was machst du und was möchtest du in Deutschland tun?“
Sánchez Rubio ist 25 Jahre alt, beendet gerade ihr Medizinstudium und träumt davon, in Deutschland ihre Ausbildung zur Fachärztin zu absolvieren. „Ich schwanke zwischen Augenheilkunde, Radiologie und Anästhesie“, sagt die schmale junge Frau mit der schwarzen Lederjacke. Sie kennt Deutschland noch nicht, lernt aber schon die Sprache und hat sich bei verschiedenen Stellen informiert. Als sie von dem neuen Vorintegrationsprogramm des Goethe-Instituts hörte, vereinbarte sie sofort online den Termin für das Beratungsgespräch.
Weitere Büros in Brasilien und Kolumbien
Ende Mai 2023 begann das Goethe-Institut in Mexiko, ein Beratungszentrum zur Vorintegration für Interessierte aus dem Land selbst sowie aus El Salvador, Guatemala und Honduras aufzubauen. Innerhalb Lateinamerikas gibt es solche Büros bereits in Brasilien und Kolumbien. In Mexiko kümmert sich Ivan Zamora gemeinsam mit einer Kollegin um die Anliegen jener Frauen und Männer, die nach Deutschland auswandern wollen. Manche möchten eine Ausbildung machen, andere studieren, wieder andere zu ihrem Partner oder ihr Partnerin ziehen, die bereits in Deutschland leben. Immer mehr wollen sich weiterbilden oder als Fachkraft arbeiten, so wie Sánchez Rubio. Der Bedarf an Beratung ist groß. „Wir werden von Anfragen förmlich überrollt“, sagt Tanja Olbrich, stellvertretende Leiterin des Goethe-Instituts in Mexiko-Stadt. Binnen eines Monats gingen rund 400 Anfragen ein.
In Deutschland wiederum ist der Bedarf an Fachkräften groß: Nach Angaben des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Kofa) des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) konnten 2022 mehr als 630.000 offene Stellen für Fachkräfte in Deutschland nicht besetzt werden, weil es keine qualifizierten Bewerber oder Bewerberinnen gab. Besonders groß ist der Bedarf in technischen und sozialen Berufen, dort vor allem in Pflege und Medizin.
Auch deshalb sucht Deutschland mittlerweile weltweit nach Menschen, die diese Lücken schließen können. Damit die Integration im fernen und oft fremden Deutschland gelingt, hat die Bundesregierung mit Hilfe der EU Vorintegrationsstellen in sieben Regionen aufgebaut, die für insgesamt 44 Länder zuständig sind. Von Südost- bis Vorderasien über Lateinamerika bis Südosteuropa sorgen sie dafür, dass die Integration noch im Heimatland beginnt.
Lucero Sánchez Rubio hat einige konkrete Fragen vorbereitet, denn die Gesprächszeit ist begrenzt auf eine halbe Stunde: Wie steht es mit der Anerkennung meines Abschlusses in Deutschland? Gibt es Stipendien? Wo kann ich mich auf Stellen bewerben? Berater Zamora hat auf jede Frage eine schnelle und passende Antwort und gleich die entsprechenden Website-Links parat, die er noch während des Gesprächs an die junge Frau weiterleitet.
Hinweise auf passgenaue Programme
Am besten passt das Programm „Specialized“ zu der jungen Medizinerin. Die Bundesagentur für Arbeit legte es 2017 auf, um dem Ärztemangel in Deutschland zu begegnen. Es richtet sich an angehende Medizinerinnen und Mediziner aus Mexiko, Kolumbien und Jordanien. So wie Specialized gibt es weitere Programme für Fachkräfte bestimmter Berufszweige oder für Menschen, die eine Ausbildung machen wollen. APAL etwa bietet Ausbildungspartnerschaften mit Lateinamerika an und offeriert Ausbildungsplätze für Pflegekräfte aus El Salvador und Mexiko.
Im spanischsprachigen Raum ist die Vorintegration vor allem in Kolumbien bereits weit entwickelt. Dort gibt es beispielsweise Workshops zur Erstellung von Bewerbungsunterlagen sowie Veranstaltungen, die fitmachen für den deutschen Arbeitsmarkt. „So etwas planen wir auch in Mexiko,“ erzählt Ivan Zamora. Derzeit sind die Beratungsgespräche noch der einzige Baustein der Vorintegration. Daneben verschickt Zamora Online-Tutorials an die Interessierten, in denen etwa erklärt wird, wie der öffentliche Personennahverkehr in Deutschland funktioniert und was es mit der Mülltrennung auf sich hat.
Das Thema Sicherheit ist vielen wichtig
Wichtig ist Zamora dabei auch, mit Stereotypen aufzuräumen – etwa, dass Züge immer pünktlich fahren. Er bereitet zudem auf Mentalitätsunterschiede vor: „Die Deutschen sind sehr direkt, das kann für Mexikaner irritierend sein,“ erzählt er in einem anderen, virtuellen Beratungsgespräch mit der Biochemikerin Dyrene Elizabeth Santana. Sie hat bereits eine Ausbildungsstelle als Krankenpflegerin am Uniklinikum Bonn – vorbehaltlich des erfolgreich absolvierten Deutschkurses. Die 30-Jährige hat eher praktische Fragen, etwa, ob sie ihren Hund mitnehmen darf. Oft sind es genau solche Dinge, die die Menschen interessieren: Wie vereinbart man einen Arzttermin, wie ist das mit der Krankenversicherung, kann man in Deutschland Fahrrad fahren? Vielen Mexikanerinnen und Mexikanern ist angesichts der hohen Kriminalität in ihrer Heimat auch das Thema Sicherheit wichtig. Dyrene Santana fühlt sich nach dem Gespräch gut beraten. Einem erfolgreichen Start in Deutschland ist sie wieder einen Schritt näher gekommen.