Die Türöffnerin
Gülsah Wilke hat eine klare Mission: die deutsche Tech-Szene diverser zu machen. Wie sie das mit dem Verein 2hearts schaffen will, lest ihr hier.
„Wenn man mit zwei Herzen aufgewachsen ist, mit zwei Kulturen, als Kind schon verschiedene Perspektiven kennengelernt hat, immer anders war, dann wird man resilient. Man entwickelt Durchhaltevermögen und Hartnäckigkeit. Dinge, die eine gute Gründerin oder einen guten Gründer ausmachen.“ Gülsah Wilkes Großeltern kamen in den 1960er-Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Die Enkelin hat sich zum Ziel gesetzt, die deutsche Tech-Szene diverser zu machen, und gründete deshalb 2020 den gemeinnützigen Verein 2hearts. Ihre Mission: Studierende, Job-Anfängerinnen und -Anfänger sowie Gründerinnen und Gründer mit Migrationshintergrund fördern und vernetzen. Wilke arbeitete schon als Beraterin bei McKinsey, in verschiedenen Positionen im deutschen Medienkonzern Axel Springer, sie war zudem Gründerin und bis vor Kurzem Mitglied des Führungsteams des Startups Ada Health.
Breites Netzwerk und Mentorship als wichtigste Starthilfen
„Wir bringen großes Potenzial mit, haben Ideen und Gründergeist. Aber selbst, wenn man ein Super-Studium abgeschlossen hat, öffnen sich nicht automatisch Türen, wenn man einen fremd klingenden Namen oder ein anderes Aussehen hat“, sagt Wilke. Viele junge Menschen mit Migrationshintergrund haben außerdem oft kein großes Netzwerk. „Meine größten Vorbilder waren immer meine Eltern. Insbesondere meine Mutter hat sehr wichtige Weichen in meinem Leben gestellt. Sie hat für mich den Probeunterricht im Gymnasium organisiert und mir Mut gemacht, eine Klasse zu überspringen“, erzählt Wilke, während sie aus ihrem Bürofenster auf das Brandenburger Tor blickt. Dieser familiäre Rückhalt sei sehr wichtig, aber trotzdem fehlten manche Privilegien ihrer Gleichaltrigen. „Menschen mit Migrationshintergrund haben oft nicht den Luxus, dass ihre Familie oder ihr Bekanntenkreis ihr Vorhaben bezuschussen oder ganz finanzieren können. Das sogenannte ‚Angel-Money‘ gibt es oft nicht“, erklärt Wilke. Die Risiken und Hürden seien dadurch höher. Diese Finanzspritze könne den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern ausmachen. „Das Herzstück von 2hearts ist deshalb unser Mentorenprogramm, ein breites Netzwerk an Personen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und ähnlich sozialisiert wurden.“ Sie geben ihren Mentees Ratschläge, stellen Kontakt zu Investorinnen und Investoren her und begleiten sie auf ihrem beruflichen Weg.
„Wir haben lange überlegt, ob es sinnvoll ist, Mentor und Mentee anhand von Nationalität und kulturellem Background zu matchen“, erzählt Sophie Chung, Co-Gründerin von 2hearts. Chung ist Ärztin und hat das Startup Qunomedical gegründet. „Eigentlich wollen wir ja Menschen zusammenbringen, die sich anders nie kennengelernt hätten. Aber wir haben festgestellt, dass die geteilten Erfahrungen, ähnliche Erziehungsstile und Kulturen direkt zu einer sehr großen Vertrauensbasis führen.“ So sei es auch bei ihrer Mentee: „Jing-Jings Eltern sind aus China. Sie muss mir nicht erklären, wie es ist, in einem asiatischen Haushalt in Deutschland aufzuwachsen. Ich weiß das, verstehe sie. Dadurch kann ich ihr Ratschläge aus erster Hand geben.“
Aber auch Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind und keinen Migrationshintergrund haben, seien laut Wilke sehr wichtige Unterstützer von 2hearts. „Sie können nicht jede unserer Erfahrungen nachvollziehen, aber sie sind oft in den Räumen, in die wir hineinwollen. Sie können Türen öffnen. So war es damals auch bei mir. Und ich bin nach wie vor sehr dankbar.“
Deutschland und vor allem Berlin hätten laut Wilke viel für Gründerinnen und Gründer zu bieten. In der deutschen Hauptstadt gebe es eine große Startup- und Tech-Szene. „Berlin ist international und offen, mit Englisch findet man sich leicht zurecht. Man hat viele Möglichkeiten zum Netzwerken, findet hier Accelerator-Programme und die Nähe zur Politik.“ Es gibt viele bekannte Beispiele für erfolgreiche deutsche Startups, die von Menschen mit Migrationshintergrund gegründet wurden. Das weltweit bekannteste ist BioNTech, das von Uğur Şahin und Özlem Türeci aufgebaut wurde und den ersten zugelassenen Covid-19-Impfstoff entwickelte. Laut dem Deutschen Startup Monitor 2020 hat mittlerweile jede fünfte Gründerin und jeder fünfte Gründer in Deutschland einen Migrationshintergrund.
Für diese Menschen will Wilke heute Türöffnerin sein und wurde dafür 2023 mit dem Impact Entrepreneur of the Year Award ausgezeichnet. Ihre Mentee Farisa Magazieva aus Tschetschenien ist stolz auf ihre Mentorin. Anders als viele ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen musste sie sich Leben und Studium selbst finanzieren. Für unbezahlte Praktika war keine Zeit. Doch Wilke stand ihr zur Seite, gab Finanzierungs- und Karrieretipps. Heute arbeitet Magazieva erfolgreich als Associate bei einer Venture-Capital-Gesellschaft. Sie sagt: „Ich glaube, ich bin nicht trotz, sondern wegen meines Backgrounds erfolgreich.“