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„Wir sind in der Forschung ganz vorne dabei“

Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie. Informatikprofessor Kristian Kersting beschreibt Europas Stärke bei der konkreten Anwendung von KI in der Wirtschaft.

Klaus LüberKlaus Lüber, 26.03.2025
Informatik-Professor Kristian Kersting, TU Darmstadt
Informatik-Professor Kristian Kersting, TU Darmstadt © DFKI

Herr Professor Kersting, rund 200 Milliarden Euro will die EU in KI investieren, so die Ankündigung nach dem KI-Gipfel in Paris. Können Deutschland und Europa dann mit den großen Playern USA und China mithalten?

Die Zahlen sind schon beeindruckend. Offenbar gibt es jetzt tatsächlich mehr Bereitschaft in Europa, das Risiko einzugehen und massiv in eine Technologie zu investieren, von der niemand genau weiß, wie genau sie sich in Zukunft entwickeln wird. Als positiven Impuls finde ich das gut. Auch wenn ich Macrons „Plug, Baby, Plug“, im Grunde eine Werbung für atomstrombetriebene KI-Fabriken, ein bisschen deplatziert fand. Dafür fressen die großen KI-Modelle immer noch viel zu viel Strom. Wir sollten uns dringend Gedanken machen, wie wir die Modelle effizienter und ressourcenschonender bauen können.

Sind die sogenannten Basismodelle, also KI-Systeme, die alles Mögliche können und mit riesigen Datenmengen trainiert werden, also ein Irrweg? 

Nein, das würde ich so nicht sagen. Wir müssen die Diskussion offenhalten, wir wissen noch zu wenig darüber, welche Modelle in welcher Größe uns bei welchen Problemen am besten weiterhelfen. Demis Hassabis, CEO von Google DeepMind und Nobelpreisträger, hat kürzlich angekündigt, eine menschliche Zelle digital nachbauen zu wollen. Da wäre es natürlich Unsinn, wenn er dafür nicht ein großes Basismodell verwenden dürfte. Aber wir sollten uns fragen, ob es der richtige Weg ist, die Modelle immer größer zu bauen. Denn am Ende zählt der konkrete Nutzen. Und wir sehen, dass sich immer mehr Unternehmen ganz spezifische Lösungen für ihre Probleme wünschen: Wie beantworte ich automatisiert Kundenanfragen? Wie überprüfe ich Formulare? Wie formatiere ich diese so um, dass sie zu einer bestimmten Software passen, mit der ich sie gerne weiterverarbeiten würde? 

Wir lernen derzeit schneller und besser, die KI-Systeme in die konkrete Anwendung zu bringen.
Kristian Kersting, Professor TU Darmstadt

Arthur Mensch vom französischen KI-Startup Mistral sagt, es sei genau die Stärke der europäischen KI, kompakte Modelle zu entwickeln, die an die lokalen Bedürfnisse von Unternehmen angepasst sind. Ist Europa also doch nicht so abgehängt, wie immer wieder behauptet wird?

Ganz und gar nicht. Ich würde sogar sagen, dass wir noch nicht einmal abgehängt wären, wenn es nur um Skalierung, also um Größe ginge. Das sehen wir ja jetzt bei der angestrebten Erhöhung der Militärausgaben: Europa ist finanziell stärker, als dies immer wieder behauptet wird. Was bisher gefehlt hat, war der Wille. Und wir sehen an der Entwicklung in China, was ein starker Wille zum Risiko bewirken kann, wie das Land in relativ kurzer Zeit auf ein ähnlich hohes Niveau wie die USA kommen konnte. Jetzt zeigt sich aber, und das ist das, was Arthur Mensch anspricht: Offenbar ist die Größe der Modelle allein keine notwendige Voraussetzung für die Qualität ihrer Ergebnisse. Man kann durchaus mit wesentlich weniger Aufwand auskommen. Dazu wird die Aufgabe in Teilbereiche zerlegt. Beispielsweise erfordert die Rechenaufgabe zwei plus zwei weit weniger Kapazität als die Frage nach der Lösung der Klimakrise.

Ist das nicht genau die Idee des chinesischen KI-Modells DeepSeek? 

Richtig, wobei ich vorsichtig wäre, das automatisch als Blaupause für den Erfolg kleinerer Modelle „made in Europe“ zu sehen. Hinter DeepSeek steht ein Unternehmen mit rund 200 Mitarbeitenden, finanziert von einem Hedgefonds. Auch kleinere Modelle müssen entsprechend trainiert werden, und hier steht uns in Europa immer noch keine wirklich leistungsfähige Infrastruktur zur Verfügung. Vergleicht man die Rechenpower von US-Systemen mit europäischen Supercomputern wie JUPITER in Jülich, LUMI in Finnland oder LEONARDO in Italien, sind uns die Vereinigten Staaten immer noch voraus.

Trotzdem sagen Sie: Europa hält den Anschluss.

Ja, denn wir haben auch einiges, was andere nicht haben. Zum Beispiel wertvolle Daten aus der Industrie. Wir sind nach wie vor ganz vorne dabei in der Forschung und bilden erstklassige Leute aus. Und noch etwas haben wir den USA und China voraus: Wir lernen derzeit schneller und besser, die KI-Systeme in die konkrete Anwendung zu bringen. Dafür gibt es allein in Deutschland einige spannende Beispiele.

An welche denken Sie?

Nehmen Sie Celonis, eine Ausgründung der TU München, mit einer aktuellen Bewertung im zweistelligen Milliardenbereich. Celonis hilft Unternehmen, Geschäftsprozesse zu analysieren und zu optimieren. Ein weiteres Beispiel ist das KI-Startup Black Forest Labs – weltweit führend in der KI-Generierung von Bildern. Das Münchner Rüstungsunternehmen Helsing gilt als eines der am schnellsten wachsenden Wehrtechnikunternehmen in Europa und wird aktuell mit fünf Milliarden Euro bewertet. Und das Heidelberger Startup Aleph Alpha entwickelt erfolgreich KI-Anwendungen für Organisationen, Unternehmen und Behörden.

Wir brauchen keine KI-Religion, wir brauchen eine KI-Aufklärung.
Kristian Kersting, Professor TU Darmstadt

Gerade Aleph Alpha ist es aber nicht gelungen, ein Basismodell zu entwickeln, das es mit Branchengrößen wie OpenAI, Anthropic, Google oder Meta aufnehmen kann.

Dazu sind dann doch die Investitionsvolumina zu unterschiedlich, da stehen Beträge im Bereich von einer halben Milliarde Euro hohen zweistelligen Milliardenbeträgen gegenüber, die die großen Player in den USA akquirieren können. Dabei muss die Strategie, sich auf kleinere, spezifische Modelle zu konzentrieren, nicht falsch sein. Letztlich geht es ja auch darum, solche Modelle zu monetarisieren, also konkret nutzbar zu machen. Und das ist ein Weg, den wir nach meiner Einschätzung in Deutschland und Europa konsequenter gehen als anderswo.

Behindert Europa auch unser hoher Standard an Regulierung? Legt sich Europa mit seinem AI Act selbst Steine in den Weg?

Das sehe ich nicht so. Eine Technologie wie KI nicht vernünftig zu regulieren, wäre fahrlässig. Das werden mittelfristig auch die USA begreifen, die sich ja gerade damit rühmen, der Entwicklung freien Lauf zu lassen. Sonst sieht man dort überall Warnhinweise, was man nicht tun sollte, wo Gefahren lauern. Damit will man dem Risiko von Verbraucherklagen vorbeugen. Das soll für KI nicht gelten, mit all den Risiken, die von der Technologie ausgehen? Das ist wenig nachvollziehbar. Wir sollten uns hier von der US-amerikanischen Herangehensweise nicht einschüchtern lassen. Die Entwicklung im Bereich KI ist einfach zu dynamisch, es ist schlicht nicht ausgemacht, dass wir mit wenig bis gar nicht regulierten Basismodellen am Ende die besten Ergebnisse erzielen. Aber überregulieren sollten wir auch nicht.

KI ist ein Kulturgut, zu dem jeder Mensch Zugang haben sollte.
Kristian Kersting, Professor TU Darmstadt

Können regulierte KI-Systeme „made in Europe“ sogar zum Erfolgsmodell werden?

Auf jeden Fall. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Bedarf an gut regulierten und damit verlässlichen KI-Systemen in Zukunft steigen wird. Gerade wenn in anderen Ländern KI zu einer Quasi-Religion hochstilisiert wird, bei der am Ende im Grunde nur wenige entscheiden, was man zu glauben hat oder nicht, sollten wir in Europa dagegenhalten. KI ist ein Kulturgut, zu dem jeder Mensch Zugang haben sollte. Wir brauchen keine KI-Religion, wir brauchen eine KI-Aufklärung.

Kristian Kersting ist Professor für Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen am Fachbereich Informatik der Technischen Universität Darmstadt, Mitgründer des Hessischen Zentrums für Künstliche Intelligenz (hessian.ai) und Leiter des Forschungsbereichs Grundlagen der Systemischen KI (SAINT) am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Darmstadt. Kersting ist zudem Seed-Investor bei Aleph Alpha und Leiter des von Aleph Alpha finanzierten Kollaborationslab an der TU Darmstadt.