Irdische Probleme im All überwinden
Europas Rolle im All: ESA-Chef Jan Wörner spricht über gefährliche Sonnenstürme und wie unser Alltag von der Raumfahrt abhängt.
Herr Professor Wörner, welche Rolle spielt die European Space Agency, kurz ESA, in der internationalen Raumfahrt?
Wenn man das reine Budget sieht, ist Europa weltweit die Nummer zwei nach den USA. Die ESA ist international gut vernetzt. Wir haben viele Projekte, die über Europa hinausgehen und arbeiten mit Partnern weltweit zusammen. Das halte ich für sehr wichtig, vor allem angesichts politischer Differenzen auf der Erde. Mit der Raumfahrt können wir diese irdischen Probleme überwinden.
Wie möchte Deutschland sich zukünftig in der ESA einbringen?
Deutschland war immer sehr stark in der astronautischen Raumfahrt und in der Erdbeobachtung – da ist das Land auch weltweit führend. Ich gehe davon aus, dass Deutschland sich in diesen beiden Bereichen auch in Zukunft stark engagiert.
An welchen Projekten arbeitet die ESA gerade?
Wir haben ein Sicherheitsprogramm für den Weltraum entwickelt. Dabei geht es um Dreierlei: Zum einen um die Entsorgung von Weltraumschrott, zum anderen darum, den Aufprall von Asteroiden auf der Erde im Notfall zu verhindern und zum Dritten um ein Frühwarnsystem, das starke Sonnenstürme vorhersagen kann. Sonnenstürme gibt es immer wieder. Auf der Erde sind sie als Polarlichter zu sehen. Wenn sie aber besonders stark sind, dann könnten sie die elektrische Versorgung lahmlegen. In unserer digitalen Gesellschaft wäre ein solcher Sonnensturm verheerend, wenn er die Erde unvorbereitet trifft. Deshalb ist der Aufbau eines Frühwarnsystems so wichtig.
Welchen Stellenwert hat die Raumfahrt für Europa?
Die Raumfahrt ist im Alltag der Bevölkerung angekommen. Ob Telekommunikation, Navigation oder Banküberweisung – das alles läuft über Satelliten. Auch bei der Katastrophenhilfe läuft ein Teil der Organisation über Beobachtungen, die aus dem Weltall gemacht werden. Deshalb ist eine starke Raumfahrt sehr wichtig für unsere moderne Gesellschaft.
In Deutschland ist die Idee aufgekommen, einen Weltraumbahnhof zu bauen. Halten Sie das für notwendig?
Wir brauchen einen europäischen, ungehinderten Zugang zum All. Neben der Entwicklung größerer Raketen gibt es auch zunehmend kleine Raketen. Auf diesem Gebiet ist auch Deutschland sehr aktiv. Für die braucht man keinen großen Weltraumbahnhof, wie wir ihn in Französisch-Guyana haben. Ich erwarte in Zukunft vor allem kommerzielle Ansätze in der Raumfahrt. Deshalb verstehe ich auch, dass die Industrie in Deutschland gerne einen eigenen Zugang zum All hätte.
Was sind die größten Herausforderungen, die auf die ESA zukommen?
Für mich ist die größter Herausforderung die heutige ESA in die ESA der Zukunft umzugestalten. Viele Leute verstehen unter „New Space“ vor allem die Verlagerung von großen Agenturen auf kleine Unternehmen. Wenn man diese Unternehmen fragt, was „New Space“ bedeutet, sagen sie: Kostenreduktion, Kommerzialisierung, Innovationen – zum Beispiel den Einsatz von Künstlicher Intelligenz –, Agilität und Flexibilität. Das muss eine Agentur leisten. In diesem Sinne möchte ich die ESA umgestalten, damit wir in Zukunft auch neue Rollen einnehmen können. Nicht mehr nur die der klassischen Forschungs- und Entwicklungsagentur, sondern auch die eines Partners oder Kunden der Industrie.
Jan Wörner, geboren 1954 in Kassel, ist Bauingenieur und lehrte lange als Professor an der technischen Universität TU Darmstadt. 2007 bis 2015 leitete er das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und seit 2015 die Europäische Raumfahrtagentur ESA.
Du möchtest regelmäßig Informationen über Deutschland bekommen? Hier geht’s zur Anmeldung: