Historikerin Applebaum erhält den Friedenspreis
US-polnische Wissenschaftlerin bekommt eine der bedeutendsten deutschen Auszeichnungen für ihre Forschungen.
Eine der wichtigsten Kritikerinnen autoritärer Herrschaft wird mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet: die US-polnische Historikerin Anne Applebaum. Der Preis wird am Sonntag, 20. Oktober 2024, in der Frankfurter Paulskirche verliehen. 2023 wurde der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie geehrt, ein Jahr zuvor der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan. Die Verleihung wird seit 1950 traditionell in Frankfurt am Main während der weltgrößten Buchmesse vorgenommen.
Applebaum warnt seit langem vor Putins aggressiver Politik
„In einer Zeit, in der die demokratischen Errungenschaften und Werte zunehmend karikiert und attackiert werden, wird ihr Werk zu einem eminent wichtigen Beitrag für die Bewahrung von Demokratie und Frieden“, begründet der Stiftungsrat die Wahl Applebaums. Die Expertin für osteuropäische Geschichte warnt seit langem vor Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seinem aggressiven antiwestlichen Kurs. Ebenso früh forderte sie Unterstützung für die Ukraine.
Die Auszeichnung mit dem Friedenspreis sei für sie eine Ehre, sagte Applebaum der Deutschen Presse-Agentur. „Dies ist für mich von besonderer Bedeutung, weil meine Arbeit zur sowjetischen und osteuropäischen Geschichte so sehr von den Forschungen deutscher Historiker und Wissenschaftler profitiert hat.“ Bei der Bekanntgabe der Auszeichnung dankte sie „allen in Deutschland, die weiter für Frieden, Freiheit und Demokratie in der Ukraine, in Russland und ganz Europa kämpfen“.
Ihre Einstellung zum Leben beschreibt Applebaum in einem Interview so: „Ich versuche, positiv zu bleiben und bin tatsächlich sogar der festen Überzeugung, dass Pessimismus unverantwortlich ist.“ Gleichwohl sieht sie die Probleme vieler Menschen. „Natürlich leben wir gerade in einer Zeit großer, enormer Veränderungen“, sagt sie, „und viele Menschen wollen, dass dieses Gefühl der Geschwindigkeit aufhört. Es ist ihnen zu viel Lärm, zu viel Kakophonie. Sie wollen etwas Einfacheres“. Es gebe aber auch positive Entwicklungen: „Wir hatten in Polen eine großartige Wahl im Oktober. Und was sie so großartig gemacht hat, war die riesige Beteiligung, dass mehr Menschen wählten als jemals zuvor!“ Ihre Hoffnung für die Zukunft? „Ich glaube, dass die jüngeren Menschen eine wirklich wichtige Rolle bei der Gestaltung der politischen Debatte spielen werden. Das sind die Digital Natives, die diese Welt (…) verstehen und sie sind diejenigen, die in der Lage sein werden, sie zu verändern und besser zu machen.“
Anders als in Polen ist Applebaum in Deutschland nur in interessierten Kreisen bekannt. Sie wurde als Kind jüdischer Eltern in Washington D. C. geboren, studierte in Yale, London und Oxford und ging 1988 als Korrespondentin nach Polen. In Warschau lernte sie den heutigen Außenminister Radoslaw Sikorski kennen. Die beiden heirateten 1992 und haben zwei Söhne. Applebaum lebt seit Jahrzehnten in Polen und besitzt neben der US-amerikanischen die polnische Staatsbürgerschaft.
Friedenspreis des deutschen Buchhandels
Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels ist eine der renommiertesten Auszeichnungen, die in Deutschland vergeben werden. Er ist mit 25.000 Euro dotiert, seine Bedeutung übersteigt das Preisgeld aber bei Weitem. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergibt den Friedenspreis seit 1950. Gewürdigt werden Persönlichkeiten, die in Literatur, Wissenschaft oder Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen haben. Unter den Preisträgern finden sich eine Reihe herausragender Persönlichkeiten aus Polen: der von den Nazis im Konzentrationslager ermordeten Autor, Arzt und Pädagogen Janus Korczak, der 1972 posthum ausgezeichnet wurde, der große Philosophen Leszek Kołakowski 1977 und der Historiker und Außenminister Władysław Bartoszewski 1986.
Heute schreibt Applebaum vornehmlich für die US-Zeitschrift „The Atlantic“. Zudem verfasste sie Bücher wie „Der Gulag“ (2003), „Der Eiserne Vorhang“ (2012) oder „Die Verlockung des Autoritären“ (2021) – aber auch ein Kochbuch mit polnischen Rezepten. Bereits 2004 wurde sie mit dem renommierten Pulitzer-Preis geehrt.
2024 erhielt Applebaum bereits den Carl-von-Ossietzky-Preis
Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte der Publizistin zu der Auszeichnung: „Die Historikerin Anne Applebaum hat früh vor der russischen Expansionspolitik gewarnt, sie bringt uns osteuropäische Geschichte näher und erinnert daran, wie fragil auch demokratische Gesellschaften sein können.“
In Deutschland ist Applebaum erst jüngst mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis 2024 der Stadt Oldenburg ausgezeichnet worden. In ihrer Dankesrede sagte sie: „Wir müssen die Ukraine verteidigen und darauf hoffen, dass eine militärische Niederlage diesen schrecklichen Gewaltkult in Russland beendet, so wie eine militärische Niederlage den Gewaltkult in Deutschland beendet hat.“ Damit nahm sie Bezug auf das Datum der Preisverleihung, es fiel auf den 80. Jahrestag des D-Day, als die Alliierten 1942 während des Zweiten Weltkriegs in der Normandie landeten und das Ende der Schreckensherrschaft von Nazi-Deutschland über Europa einleiteten. (mit dpa)