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„Durchdachte Vorschläge“

Bürgerräte oder die EU-Zukunftskonferenz bringen Menschen zusammen. Demokratieforscherin Brigitte Geißel zum Wert solcher Treffen. 

Carsten Hauptmeier, 15.10.2021
Demokratieforscherin Brigitte Geißel
Demokratieforscherin Brigitte Geißel © Vincent Leifer, Greifswald

Frau Professorin Geißel, warum sind Angebote wie die EU-Zukunftskonferenz oder die Bürgerräte in Deutschland aus Ihrer Sicht wichtig?

Diese Art der Bürgerbeteiligung kann eine ganz wichtige Funktion in einer Demokratie einnehmen. Bei den meisten politischen Beteiligungsverfahren engagieren sich vor allem gut ausgebildete Menschen im mittleren oder höheren Alter. Im Gegensatz dazu werden Bürgerräte durch eine zufällige Auswahl der Teilnehmenden zusammengesetzt. So soll die ganze Breite der Bevölkerung abgebildet werden. Allerdings zeigte sich, dass eine geschichtete Zufallsauswahl notwendig ist, damit in einem Bürgerrat tatsächlich Frauen und Männer aus allen Altersgruppen sowie mit unterschiedlichem Bildungsniveau sitzen. Dabei wird eine sehr große Gruppe Menschen nach dem Zufallsprinzip ausgelost. Aus der Gruppe derjenigen, die zu einer Beteiligung bei einem Bürgerrat bereit sind, wird dann eine Gruppe zusammengestellt, die hinsichtlich Geschlecht, Alter oder Bildung der Zusammensetzung der Bevölkerung entspricht. Wenn ein Bürgerrat dann die Breite der Bevölkerung abbildet, gibt es einen weiteren Vorteil: Es kommt zu Diskussionen zwischen Menschen, die sonst nicht zusammenkommen würden.

Was zeichnet diese Diskussionen aus?

Bürgerräte unterscheiden sich deutlich von Stammtisch-Debatten. Sie sind in drei Phasen aufgeteilt. Am Anfang eines Bürgerrats steht immer eine Informationsphase. Danach folgt eine Diskussionsphase, die in kleineren Gruppen mit Moderatoren stattfindet. Am Ende werden Empfehlungen für die Politik aufgestellt.

Als Herzstück der EU-Zukunftskonferenz gilt eine digitale Plattform, auf der alle Bürgerinnen und Bürger ihre Ideen einbringen können. Halten Sie ein solches Forum für sinnvoll?

Ein digitales Angebot kann auf jeden Fall eine gute Ergänzung sein. Es ist dabei zu unterscheiden, ob nur Ideen gesammelt werden oder ob auch Diskussionen stattfinden sollen. Bei Diskussionen sind auch online Moderatoren sinnvoll.

Können die Empfehlungen tatsächlich Antworten auf schwierige Fragen vom Klimaschutz bis zur Stärkung der Demokratie geben?

Die Empfehlungen sind teilweise fantastisch. Der Bürgerrat zum Thema Demokratie in Deutschland hat zum Beispiel unglaublich durchdachte und weitgehende Vorschläge vorgelegt. Experten hätten das kaum besser machen können. Bei sehr komplexen Themen setzt dies natürlich voraus, dass genug Zeit für intensive Diskussionen eingeräumt wird.

Wie groß ist die Gefahr, dass die Teilnehmenden am Ende enttäuscht sind, weil ihre Vorschläge von der Politik nicht umgesetzt werden?

Das Frustrationsrisiko ist groß. Die Teilnehmenden müssen den Eindruck bekommen, dass sich die Politik mit ihren Vorschlägen intensiv und ernsthaft auseinandersetzt. Umfragen zeigen aber auch, die Menschen erwarten nicht, dass die Empfehlungen direkt etwa durch Gesetze umgesetzt werden. Die Bürgerinnen und Bürger wollen vor allem ernst genommen werden.

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