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„Filmfestivals sind ein Ort für alle“

Berlinale-Chefin Tricia Tuttle spricht über Vielfalt und Nachwuchsförderung. Und sie verrät, was sie sich für die Zukunft des internationalen Films wünscht.  

Jessica KraußJessica Krauß , 07.02.2025
Seit April 2024 ist Tricia Tuttle Intendantin der Berlinale.
Seit April 2024 ist Tricia Tuttle Intendantin der Berlinale. © picture alliance/dpa

Frau Tuttle, welche Bedeutung hat die Berlinale für Deutschland als Filmland und die globale Filmindustrie? 
Die Berlinale war schon immer ein großes Publikumsfestival und zugleich eine bedeutende Plattform für die internationale Filmindustrie. Hier in Berlin kommen alle zusammen, um sich auszutauschen. Das wollen wir bewahren und weiterentwickeln. Bei der Berlinale geht es darum, Menschen aus aller Welt zusammenzubringen und Filme zu präsentieren, die uns neue Perspektiven auf unsere Welt eröffnen. Dabei ist es wichtig, eine gute Balance zu finden und möglichst vielen Perspektiven gerecht zu werden. Das ist nicht immer leicht, aber genau das macht unsere Arbeit so wichtig. 

Sie kommen aus den USA und haben einen internationalen Blick auf die Filmbranche. Was fasziniert Sie an der Berlinale?
Allein der Standort ist einzigartig – Berlin mit seinen außergewöhnlichen Kinos in den verschiedensten Stadtteilen. Anders als in vielen anderen Metropolen gibt es hier nicht nur einen zentralen Ort für Filmkultur, sondern eine lebendige, dezentrale Kinolandschaft. Diese Nachbarschaftskultur macht Berlin besonders und trägt zu seinem beeindruckenden kulturellen Reichtum bei, der von einer faszinierenden Geschichte geprägt ist. 

Eröffnung der Berlinale 2024
Eröffnung der Berlinale 2024 © picture alliance / Anadolu

Wie bewerten Sie die aktuelle Filmszene in Deutschland und die Arbeit der Filmschaffenden?
Ich bin begeistert von dem jungen Talent in Deutschland. Ich habe so viele Regisseurinnen und Regisseure mit einer breiten Palette an Filmsprache und -stil kennengelernt, die auch daran interessiert sind, neue Zuschauerinnen und Zuschauer für Filme zu gewinnen. Ich würde mir wünschen, dass wir dieser Generation mehr Raum geben, um die Entwicklung der Filmindustrie voranzutreiben. 

Welche Verantwortung trägt ein internationales Festival wie die Berlinale in Zeiten politischer Spannungen und gesellschaftlicher Spaltung?
Deutschland – und insbesondere die Berlinale – nimmt hier eine besondere Rolle ein. Als öffentliches, internationales Festival, das geografisch zwischen Ost- und Westeuropa liegt, befindet sich die Berlinale an einer einzigartigen Schnittstelle. Diese Position verleiht ihr eine ganz eigene Bedeutung. Wir zeigen eine Vielzahl von Filmen aus unterschiedlichen Regionen der Welt, die sich mit drängenden gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen: dem Verlust von Zusammenhalt, dem Wandel der Gesellschaft und dem Aufstieg nationalistischer und autoritärer Strömungen. Filmschaffende greifen diese Themen auf unterschiedliche Weise auf – sei es durch Dokumentarfilme, schwarze Komödien oder Genrefilme. 

Tricia Tuttle mit dem Goldenen Bären, dem Hauptpreis der Berlinale.
Tricia Tuttle mit dem Goldenen Bären, dem Hauptpreis der Berlinale. © picture alliance/dpa

Welche Trends beobachten Sie und was wünschen Sie sich für die Zukunft des Films?
Mir fällt auf, dass das deutsche Kino heute eine große kulturelle Vielfalt widerspiegelt. Ein klarer Trend ist die verstärkte Einbindung internationaler Talente. Viele Kreative sind selbst Einwanderer oder ihre Eltern waren es – das zeigt sich in fast allen Filmen und Sektionen. Ich sehe darin ein modernes Deutschland und ein modernes Europa. 

Vielfalt war für mich schon immer ein zentrales Anliegen, für das ich mich lautstark und mit großer Leidenschaft eingesetzt habe. Mich begeistert die Frage, wie man ein Programm dynamischer gestalten kann, indem man bewusst unterschiedliche Perspektiven und Stimmen auf die Bühne bringt. Deswegen suche ich stets nach Stimmen, die im internationalen Kino unterrepräsentiert sind und möchte Ihnen Gehör verschaffen. 

Vor 25 Jahren bedeutete das noch, Kompromisse einzugehen, um queeren Filmschaffenden, Regisseurinnen und Regisseuren ohne ausreichende Produktionsmittel Raum zu geben. Doch genau dadurch konnten wir einer neuen Generation zeigen, dass Festivals ein Ort für sie sind – und halfen dabei, ein Publikum für ihre Werke aufzubauen – das wollen wir auch in Zukunft weiter fortsetzen. 

Ein frischer Blick auf die Berlinale

Die neue Leiterin der Filmfestspiele Tricia Tuttle blickt auf eine langjährige Erfahrung in der internationalen Filmszene zurück. Sie arbeitete bei namhaften Organisationen wie dem British Film Institute (BFI), der British Academy of Film and Television (BAFTA) und der National Film and Television School (NFTS). Zuletzt war sie Leiterin des London Film Festivals. Seit April 2024 hat die gebürtige US-Amerikanerin die künstlerische und organisatorische Leitung der Berlinale inne.