Blick für rechten Terror schärfen
Nuran David Calis will mit seinem Theaterprojekt „NSU 2.0“ die Ursachen und Konsequenzen rechtsextremer Angriffe sichtbar machen.
Wie weit reichen rechtsextreme Netzwerke in Deutschland? Welche Konsequenzen hat ihr Handeln für ihre Opfer, welche Folgen in Politik und Gesellschaft? Diesen Fragen geht der Regisseur Nuran David Calis in seiner Theaterarbeit „NSU 2.0“ nach. Das semidokumentarische Stück will erfahrbar machen, dass es nicht Einzeltäter sind, die in Deutschland seit Jahren aus rassistischen Motiven Menschen bedrohen und ermorden. Betitelt hat Calis sein Projekt nach der Signatur der rund 130 Drohschreiben, die die Frankfurter NSU-Opferanwältin Seda Bașay-Yıldız, aber auch Politikerinnen und andere Persönlichkeiten, von August 2018 bis Frühjahr 2021 erhalten haben.
Anders als angekündigt konnte die Uraufführung von „NSU 2.0“ nicht im März 2021 stattfinden; das Schauspiel Frankfurt verschob die Premiere aufgrund der Corona-Pandemie. Eine weitere Änderung betrifft das Stück selbst: Calis hatte anfangs in Erwägung gezogen, von rechtsextremem Terror Betroffene auf der Bühne sprechen zu lassen. Im Laufe der Auseinandersetzung mit Attentaten, für die er Medienbeiträge sichtete und viele Gespräche mit Opferangehörigen und anderen Betroffenen führte, kam er davon ab – auch um sie vor einer Retraumatisierung zu schützen und nicht „schamlos auszunutzen“.
Hintergründe erfahrbar machen
Stattdessen führten er und sein Team Gespräche mit Überlebenden der Anschläge von Hanau und Halle und nahmen sie auf. Diese Video-Clips und „fragmentarischen Einblicke in die Opfergeschichten“ sind Teil des Stücks, an dem zwei Schauspieler und eine Schauspielerin beteiligt sind. Sie spielen aber keine vorgegebenen Rollen und sprechen auch keine festgeschriebenen Texte, sondern sprechen über den Terror. Denn „NSU 2.0“ ist kein vorgeschriebenes Stück, das Spielende auf die Bühne bringen, sondern eine offene Auseinandersetzung mit der rechtsextremem Bedrohung. Calis hebt die Möglichkeit hervor, im Theaterraum die ästhetischen Mittel so zu wählen, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer „sich nicht in einem Proseminar wiederfinden“. Im Theater könnten aber Hintergründe und Zusammenhänge erfahrbar gemacht werden. Und um dieses Erfahrbarmachen geht es dem Sohn armenisch-jüdischer Einwanderer aus der Türkei.