„Ich bin wortwörtlich eine Ärztin ohne Grenzen”
Parnian Parvanta leistet weltweit medizinische Hilfe in Krisengebieten. Ein Gespräch mit der Vorsitzenden der deutschen Sektion von „Ärzte ohne Grenzen”.
Ihre Stimme klingt ruhig, doch ihre Entschlossenheit ist nicht zu überhören. Parnian Parvanta hat ein klares Ziel vor Augen: die bedingungslose Hilfe für Menschen in Not, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder politischen Überzeugungen. „Der Name unserer Organisation spiegelt auch meine persönliche Motivation wider, denn ich verstehe mich wortwörtlich als Ärztin ohne Grenzen“, sagt die Vorstandsvorsitzende der deutschen Sektion.
Als junges Mädchen floh Parvanta mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland. Ihre eigene Geschichte machte sie zur Verfechterin der universellen Menschenwürde – ein Grundsatz, der sie durch ihr Medizinstudium und schließlich zu Ärzte ohne Grenzen führte.
Freude und Wut
Ihren ersten Einsatz hatte die Fachärztin für Gynäkologie 2011 in der Zentralafrikanischen Republik. Es folgten Aufenthalte in Indien, Nepal, Nigeria, Côte d'Ivoire und im Irak. Bei der Arbeit in den Krisengebieten mischten sich unterschiedliche Emotionen, so Parvanta: „Zum einen ist es die Freude darüber, helfen zu können und mit den Kolleginnen und Kollegen, die dauerhaft vor Ort sind, hervorragend zusammenzuarbeiten – das sind ohnehin die wahren Helden. Zum anderen ist es aber auch die Wut über das viele unnötige Leid in der Welt.“
Sudan: Im Schatten der Aufmerksamkeit
Ein besonders drastisches Beispiel aktueller Krisen ist Sudan. Im April 2023 brach in dem seit langem von gewalttätigen Konflikten geprägten Land ein Bürgerkrieg aus, in dessen Folge es zu einer schweren Hungersnot kam. „Das Thema findet international wenig Beachtung, aber die Situation ist katastrophal. Jeden Tag leiden viele Menschen, weil sie keine medizinische Versorgung bekommen,“ sagt Parvanta. Die 42-Jährige beschäftigen die unzähligen menschlichen Dramen, die sich hinter den nüchternen Zahlen verbergen: „Weltweit sterben täglich rund 800 schwangere oder gebärende Frauen, weil sie nicht ausreichend oder gar nicht behandelt werden“, erklärt sie.
Wenn Gesundheit zum Angriffsziel wird
Eine weitere bittere Realität, die Parnian Parvanta nicht hinnehmen möchte: „Obwohl sich die Weltgemeinschaft darauf verständigt hat, in geopolitischen Konflikten keine medizinischen Einrichtungen anzugreifen, erleben wir es immer wieder, dass Kriegsparteien Kliniken bombardieren – und dabei unschuldige Pflegekräfte und Patienten verletzen oder töten.“ Die rund 65.000 Menschen, die weltweit für „Ärzte ohne Grenzen“ tätig sind, begeben sich oft auch selbst in Lebensgefahr. Allein in Gaza wurden seit Oktober 2023 acht Mitarbeitende getötet.
Empathie und Solidarität
Zudem werden sie bei ihrer Arbeit oft mit tragischen Schicksalen konfrontiert, die selbst für erfahrene Hilfskräfte nicht leicht zu verarbeiten sind. „Die psychische Belastung ist hoch. Doch wir lassen unsere Mitarbeitenden nicht allein und bieten ihnen rund um die Uhr professionelle Betreuung an“, betont Parvanta. Besonders wichtig ist ihr, dass die Bevölkerung in wohlhabenden Ländern wie Deutschland noch mehr Empathie und Solidarität aufbringt – für die vielen Menschen in Not.
Ärzte ohne Grenzen
Die Organisation wurde 1971 in Frankreich als Médecins Sans Frontières (MSF) gegründet. Seither wurden weltweit eigene Verbände der Hilfsorganisation aufgebaut, 1993 die deutsche Sektion. Heute ist MSF ein globales Netzwerk mit 26 Mitgliedsverbänden, das mit rund 65.000 Mitarbeitenden in mehr als 70 Ländern medizinische Nothilfe leistet.