Bei Wind und Wetter: Seenotretter im Einsatz
Sie sind zur Stelle, wenn es drauf ankommt. Seit rund 160 Jahren sorgt die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger für Sicherheit auf der Nord- und Ostsee.
Es ist Anfang Oktober 2024, acht Uhr abends. Über der Ostsee tobt ein Sturm mit Windstärke 7. Die Wellen peitschen, es ist stockdunkel. In der Seenotrettungsstation Travemünde schrillt der Alarm. „Segelboot in Seenot“, lautet die Meldung. Der in Not geratene junge Mann mit seinem kleinen Segelboot ist schon neun Stunden auf See – in T-Shirt und kurzer Hose, ohne Rettungsweste, völlig orientierungslos. Nur eine vage Funkpeilung gibt Hinweise auf seine Position. Vormann Patrick Morgenroth und seine Besatzung werden von der Leitstelle mit einem Alarmruf über ihr Handy benachrichtigt. Binnen Minuten sind fünf freiwillige Helfer an Bord des hochmodernen Rettungsbootes. Eine Spezialanfertigung: Zehn Meter lang, 380 PS, 20 Knoten Spitzengeschwindigkeit, sogar fähig zur Kenterrolle. „Los geht’s!“, ruft Morgenroth. Raus in die Düsternis, rein in ein riskantes Manöver.
„Wir holen den Jungen da raus“
Die Suche verläuft schwierig. Die Stimmung ist angespannt, die Crew hoch konzentriert. „Wir holen den Jungen da raus“, lautet die Order. Zwei weitere Rettungsboote stoßen hinzu. Der heftige Wind lässt die Boote auf den Wellen tanzen. Endlich: Die Scheinwerfer erfassen das wild schaukelnde Segelboot, ein flüchtiger Schatten in der tosenden See. „Wir waren verdammt nah an der Küste“, erinnert sich Morgenroth, „eine gefährliche Zone, denn Grundberührung kann böse enden.“ Die Seenotretter werfen eine Leine. Mehrfach verfehlt sie ihr Ziel, doch dann bekommt sie der junge Mann tatsächlich zu greifen. Morgenroth und seine Mannschaft nehmen das Segelboot in Schlepp und manövrieren es in den sicheren Hafen. „Das ist gerade nochmal gut gegangen“, erzählt der Vormann.
Rund 2.000 Einsätze jährlich
Patrick Morgenroth ist einer von mehr als 1.000 Seenotretterinnen und -rettern der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), die Jahr für Jahr rund 2.000 Einsätze auf der Nord- und Ostsee fahren. „Unsere Mission ist klar: Wir helfen, wo es geht – und das unabhängig, eigenverantwortlich und ohne staatliche Unterstützung“, erklärt der Familienvater. Die ehrenamtlichen Mitarbeitenden verzichten auf Freizeit und Schlaf, um Menschen in Not zu helfen. „Dafür gibt es die unterschiedlichsten Ursachen: Technische Störungen, Leckagen, Verletzungen, Herzinfarkte – oder eben Stürme“, sagt Morgenroth. Mit seinen 36 Jahren ist er bereits mehr als 20 Jahre im Einsatz. Inspiriert durch seinen Vater, selbst langjähriger Seenotretter, trat er als Jugendlicher in die Organisation ein. Heute bildet der gelernte Schiffsmechaniker mit Kapitänspatent hauptberuflich Freiwillige an der Seenotretter-Akademie aus.
Engagement und Teamgeist
Auf seine Mannschaft ist Morgenroth sehr stolz. Sie besteht aus 33 Freiwilligen, darunter Notärzte, Rettungssanitäter, Feuerwehrleute, Polizisten, aber auch Büroangestellte und Handwerker. Die Motivation? „Es ist ein unvergleichliches Gefühl, Leben zu retten und Teil eines tollen Teams zu sein, auf das man sich voll verlassen kann“ – auch bei Sturm, Dunkelheit und peitschenden Wellen.
Seenotrettung
Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), gegründet 1865, hat bereits mehr als 86.000 Menschen aus Seenot gerettet oder vor Gefahren bewahrt. Die Organisation mit 60 Rettungseinheiten finanziert sich ausschließlich durch Spenden, und fast alle der über 1.000 Seenotretter arbeiten ehrenamtlich.