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„Corona kann Konflikte verschärfen“

Bewaffnete Auseinandersetzung gehen in der Pandemie unvermindert weiter, sagt Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff. 

Interview: Helen Sibum, 20.07.2020
Libyen: Kämpfer mit Mund-Nasen-Schutz
Libyen: Kämpfer mit Mund-Nasen-Schutz © dpa/pa

Krisen und Konflikte weltweit sind das Forschungsthema von Professorin Nicole Deitelhoff – Pandemien spielten dabei bislang kaum eine Rolle. Das wird sich ändern, sagt die Politikwissenschaftlerin. Sie leitet das Leibniz-Institut Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Im Interview mit deutschland.de blickt sie auf Krisen in Zeiten von Corona.

Frau Professorin Deitelhoff, bewaffnete Kämpfer mit Mund-Nasen-Schutz: Solche Bilder aus Krisengebieten sind in der Corona-Pandemie zu sehen. Was löst das bei Ihnen als Friedens- und Konfliktforscherin aus?

Vor allem Frustration. Es ist frustrierend zu sehen, dass die Kämpfe in vielen Konfliktgebieten unvermindert weitergehen, sich teilweise sogar verschärft haben. Wir beobachten, dass Konfliktparteien die Pandemie nutzen, um Gebietsgewinne zu machen oder politische Ziele zu verfolgen. Es gab den Aufruf von UN-Generalsekretär António Guterres zu einem globalen Waffenstillstand, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Leider ist es nur in einem kleinen Teil der Konflikte tatsächlich zu vorübergehenden Waffenruhen gekommen, zum Beispiel Ende Mai in Afghanistan. In der Mehrzahl der Konflikte gingen die Kämpfe unvermindert weiter, zum Beispiel in Syrien oder im Jemen.

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Welche Rolle hat das Thema Gesundheit bislang in der Friedens- und Konfliktforschung gespielt?

Es war sicherlich kein zentrales Forschungsthema. Gesundheit spielte eher indirekt eine Rolle, wegen des generellen Zusammenhangs zwischen Entwicklung und Frieden. Zu den wichtigen Indikatoren für Entwicklung gehören Aspekte wie Säuglingssterblichkeit oder Impfraten. Natürlich gab es schon vor Corona Epidemien, die in der Forschung am Rande eine Rolle spielten. Doch sie erreichten nie ein solches Level, dass wir sie als Konfliktursache in den Blick nehmen mussten. Das hat sich mit Corona geändert – auch die Friedens- und Konfliktforschung ist sensibler geworden für das Thema.

Im Video-Chat ist es schwer, Kompromisse zu vermitteln.
Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

Wie verändert die Pandemie Konflikte?

Bezeichnend für die Corona-Pandemie ist der Lockdown. Die Kontaktverbote und -beschränkungen machen sich in Konflikten bemerkbar, und zwar vor allem in dreierlei Hinsicht: Erstens ist in fragilen Post-Konflikt-Gesellschaften Gewalt wieder ausgebrochen, weil Sicherheitskräfte sich aus der Fläche zurückziehen mussten, zum Beispiel in Lateinamerika. Zweitens sind UN-Missionen unter Druck geraten, weil Peacekeeper ihre Stützpunkte nicht verlassen konnten. Drittens war es kaum möglich, Mediation oder Krisendiplomatie fortzuführen. Im Videochat ist es schwer, Kompromisse zu vermitteln. Konfliktparteien können in unangenehmen Situationen einfach den Aus-Knopf drücken.

Die Diplomatie hat in der Pandemie also einen schweren Stand?

Für die Diplomatie ist der Verzicht auf das direkte Gespräch ganz schwierig. Sie ist darauf angewiesen, auch jenseits des gesprochenen Wortes Gestik, Mimik und andere Faktoren einbeziehen zu können – zum Beispiel um zu erkennen, wo vielleicht noch Zugeständnisse möglich sind. Man kann virtuell gut Informationen austauschen, aber Vertrauen herzustellen ist viel schwieriger.

Ich glaube, dass Corona auch eine große Chance für die deutsche Diplomatie sein kann.
Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

Was bedeutet das für den Spielraum deutscher und europäischer Außenpolitik?

Ich glaube, dass Corona auch eine große Chance für die deutsche Diplomatie sein kann, weil sie sich die zivile Krisenprävention schon lange auf die Fahne geschrieben hat. Corona ist ein Anwendungsfall dafür: Die Pandemie kann man nicht mit Waffen bekämpfen. Man braucht nicht die beste militärische Strategie, sondern die beste Wiederaufbaustrategie. Darin haben die deutsche Diplomatie und Außenpolitik viel Erfahrung und Expertise. Deutschland agiert in der Pandemie sehr stark im Kontext der EU und der Team-Europe-Initiative. Je mehr Fragen der zivilen Prävention und der Krisennachsorge in den Vordergrund rücken, desto stärker können Deutschland und Europa auf der weltpolitischen Bühne auftreten.

Sie sagen, dass Corona Konflikte eher verschärft hat. War es naiv zu glauben, dass die Pandemie auch Solidarität schaffen könnte, das Konfliktparteien zum Einlenken bewegt?

Das Grundproblem ist die meistens sehr heterogene Konfliktlage: Beteiligt sind nicht bloß eine oder zwei staatliche Konfliktparteien. In vielen der besonders virulenten Konflikte dieser Tage haben wir es auf der einen Seite mit unterschiedlichen nicht-staatlichen Gewaltakteuren zu tun und auf der anderen Seite mit einem – häufig sehr repressiven – Staat oder einer externen Intervention mehrerer Staaten. Beispiel Libyen: Dort kämpft eine international anerkannte Regierung gegen rivalisierende Herausforderer nicht-staatlicher Natur. Einer davon – die Milizen unter dem Kommando von General Haftar – werden von Russland mit Waffen und Söldnern unterstützt. In solchen Situationen ist die Möglichkeit, moralische Appelle wirksam durchzusetzen, sehr gering.

 

Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff, Leiterin der HSFK
Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff, Leiterin der HSFK © Uwe Dettmar

Also keinerlei Grund zu Optimismus?

Mit Blick auf internationale Konflikte, leider nein. Wo sich dagegen wirklich etwas tut, ist die EU. In den letzten drei Monaten haben wir eine erstaunliche Bewegung gesehen, zum Beispiel das implizite Zugeständnis zu gemeinsamen Schulden, wenn auch in den engen Grenzen rechtlicher Vereinbarungen. Da hat sich eine unglaubliche Dynamik entfaltet, mit der man vor einem halben Jahr nicht im Ansatz hätte rechnen dürfen. Positive Auswirkungen gibt es also indirekt: Mögliche Vermittler, die Interesse an einer rechtlich regulierten Ordnung haben, werden in der Krise gestärkt.

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