Sehr viel Licht und wenig Schatten
Wie steht es um die deutsch-polnischen Beziehungen? Ein Gespräch mit Dietmar Nietan, dem Polenbeauftragten der Regierung.
Dietmar Nietan wurde Anfang März zum Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit ernannt. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen und die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen gesprochen.
Herr Nietan, nach einem Dreivierteljahr als Polenbeauftragte der Bundesregierung: Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?
Sie fällt für mich persönlich positiv aus. Ich konnte mit sehr vielen Menschen in Polen sprechen, aber auch in Deutschland mit vielen Menschen über Polen, dieses großartige Land und seine großartigen Menschen. Dabei merke ich immer wieder, dass abseits mancher Friktionen, die man auf Regierungsebene spürt, viele Polinnen und Polen ein großes Interesse an Deutschland haben und viele Deutsche ein großes Interesse an Polen. Diesen Menschen fühle ich mich in einer besonderen Weise verpflichtet.
Woher rührt Ihre persönliche Nähe zu Polen und den deutsch polnischen Beziehungen?
1998 bin ich das erste Mal in den Bundestag gewählt worden. Damals war für mich klar, dass meine politische Arbeit auch vor der Verantwortung vor der deutschen Geschichte zu sehen ist. Ich wollte meine Möglichkeiten als Mitglied des Parlaments auch nutzen, um mitzuhelfen, dass die schrecklichen Verbrechen der Nazizeit nicht vergessen werden. Aber vor allen Dingen wollte ich dabei helfen, dass wir uns mit den Nationen aussöhnen, über die Deutschland sehr viel – fast kann man sagen unermessliches – Leid gebracht hat. Deshalb war für mich klar, dass die deutsch-polnische Versöhnung auf die Agenda meiner Arbeit gehört.
Die deutsche Geschichte als Motivation für die aktuelle Arbeit?
Ja – und es gibt noch einen ganz persönlichen Umstand, der mich in diesem Weg bestärkt hat. Meine Großeltern väterlicherseits kommen aus Olsztyn in Masuren, dem früheren Allenstein. Als ich in den Bundestag kam, nahm mich mein Großvater beiseite und sagte, er wünsche sich, dass ich mich in einer besonderen Weise engagiere. Er sagte: Junge, du darfst niemals vergessen, Deine Großeltern haben ihre Heimat nicht wegen der Roten Armee und auch nicht wegen Polen verloren. Sie haben sie verloren, wegen der deutschen Faschisten, die ihre Nachbarn brutal überfallen haben. Deshalb möchte ich als dein Großvater, dass du dein Amt als Abgeordneter nutzt, um dich für die deutsch polnische Versöhnung einzusetzen. Diesen Auftrag meines Großvaters nehme ich bis heute sehr ernst.
Sie sind schon lange auch in deutsch-polnischen Organisationen engagiert?
Um die Jahrtausendwende habe ich angefangen, mich sehr intensiv für die deutsch polnischen Beziehungen zu engagieren. Als junger Abgeordneter berief mich deswegen der damalige Außenminister Joschka Fischer in den Stiftungsrat der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Dann fragte die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, ob ich im Stiftungsrat der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz in Oświęcim mitarbeiten wolle. Dort bin ich bis heute engagiert, inzwischen als der deutsche Co-Vorsitzende. Dazu kommt die Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft. Dort habe ich mich sehr dafür eingesetzt, dass die Entschädigung der polnischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter möglichst schnell und unbürokratisch gezahlt wird. Und seit 2010 bis vor einem Monat, also zwölf Jahre lang, war ich Bundesvorsitzender des Dachverbands „Deutsch-Polnische Gesellschaft Bundesverband“.
Das sind sehr viele Verpflichtungen, die Sie eingegangen sind.
Wenn man es ernst meint mit der deutsch-polnischen Freundschaft und Versöhnung, stellt man fest, dass es in der Zivilgesellschaft auf beiden Seiten sehr viele Organisationen, Vereine, Verbände gibt, die sich intensiv für die Zusammenarbeit, für die Erinnerungsarbeit, für die Jugendarbeit einsetzen. Daher war es eigentlich die logische Folge meiner politischen Arbeit im Bundestag, mich auch außerhalb des Parlaments in Organisationen zu engagieren.
Warum war das so?
Bestimmte Entwicklungen brauchen natürlich ihre Zeit. Wir Deutschen haben vielleicht an manchen Stellen vergessen, gerade weil uns Polinnen und Polen so unglaublich generös die Hand zur Versöhnung gereicht haben, dass diese polnische Freundlichkeit uns nicht davon befreit, weiter kritische Fragen an unsere Geschichte zu stellen. Uns nicht davon befreit, uns zu fragen, ob wir schon wirklich alles getan haben, was wir an Wiedergutmachung gegenüber dem polnischen Volk leisten können.
Deutschland hätte mehr tun können oder sogar müssen?
Diese Asymmetrie hat dem Verhältnis nicht gutgetan, dass die polnische Seite sehr viel in die Freundschaft investiert hat, aber zugleich vieles auf der deutschen Seite für selbstverständlich genommen wurde. Das hat auf der polnischen Seite zu Recht für Frustration gesorgt. Wir in Deutschland haben das vielleicht nicht ernst genug genommen.
Geben Sie uns ein Beispiel.
Ganz aktuell: Unsere polnischen Freunde, und übrigens alle Freunde in Mittelosteuropa und den baltischen Staaten, haben uns immer wieder gewarnt vor den wahren Ambitionen Wladimir Putins, haben davor gewarnt, dass der russische Imperialismus jederzeit zurückkehren kann, dass Putin Nordstream als Waffe nutzen könne und werde. Wir habe auch da viel zu wenig hingehört, viel zu wenig ernst genommen, was die polnischen Freunde uns gesagt haben. Und genau das, wovor wir aus Polen gewarnt wurden, ist schließlich eingetroffen. Das führt natürlich zu Frustration. Und es führt auch dazu, dass in der polnischen Politik diese Frustration parteipolitisch ausgenutzt wird. Deshalb erleben wir jetzt auch manche politische Kraft, die Stimmen mit antideutschen Ressentiments fangen will.
Es gibt also einen Bruch in den deutsch-polnischen Beziehungen?
Nein! Bei aller Kritik an Dingen, die besser werden müssen, ist doch klar, dass uns mehr verbindet, als uns trennt. Wenn man das weiß, dann finden wir auch die Kraft, uns wieder zusammenzuraufen. Und die Themen gemeinsam anzugehen. Deshalb beurteile ich das Auf und Ab in den deutsch-polnischen Beziehungen auf Regierungsebene auch nicht negativ. Denn unser Verhältnis in der Zivilgesellschaft ist nach wie vor großartig. Die Zusammenarbeit bei Städtepartnerschaften, in Komitees, Stiftungen und Vereinen, zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, der ökonomische Austausch zwischen polnischen Unternehmen in Deutschland und deutschen Unternehmen in Polen. Das ist alles weitergegangen. Die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft, die Wissenschaft zeigen die guten Beziehungen. Das ist sehr wichtig herauszustellen: die Beziehungen bestehen nicht nur zwischen zwei Regierungen, sondern zwischen zwei Völkern. Und da gibt es immer noch sehr, sehr viel Licht und wenig Schatten.
Sie sprechen von den Menschen?
Wir haben eine tolle Zusammenarbeit, besonders im grenznahen oder grenzüberschreitenden Raum. Und das sollten wir weiter fördern. Die Menschen haben ein gutes Gefühl dafür, was gut läuft, was weniger gut läuft. Sie wollen praktisch die Freundschaft pflegen, gemeinsam was erreichen, für bessere Lebensverhältnisse in beiden Ländern sorgen. Da können wir uns als große Politik, wie man so sagt, auch ruhig mal eine Scheibe abschneiden.