Hand in Hand für die Freiheit
Vor welchen Aufgaben stehen Deutschland und Polen 2023? Ein Gespräch mit Dietmar Nietan, dem Polenbeauftragten der Bundesregierung.
Seit fast einem Jahr ist Dietmar Nietan Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit. Das Engagement für das deutsch-polnische Verhältnis bestimmt auch sein politisches Leben seit Jahrzehnten. Wir haben mit ihm über seine Erwartungen für 2023 für die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen gesprochen.
Herr Nietan, welche Aufgaben müssen in den deutsch-polnischen Beziehungen 2023 angepackt werden?
Polen ist durch den Angriff Russlands auf die Ukraine zu einem Staat geworden, der direkt an der Front liegt, in direkter Nachbarschaft des Krieges. Der große polnische Nachbar Ukraine sieht sich einem Angriffskrieg der Russischen Föderation ausgesetzt. Das heißt für mich, dass die Unterstützung der Ukraine von wesentlicher Bedeutung für unser Verhältnis zu Polen ist. Auch wegen unserer Freundschaft mit Polen muss für die Bundesregierung humanitäre, finanzielle, politische und militärische Hilfe für die Ukraine absolute Priorität haben. Daraus erwächst zwangsläufig eine enge Zusammenarbeit mit unserem großen Nachbar Polen in Sicherheitsfragen. Das heißt, unabhängig von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen: Es ist es jetzt die historische Aufgabe der deutschen Regierung und die der polnischen Regierung unterschiedliche Auffassung zurückzustellen und gemeinsam für die Freiheit in Europa zu kämpfen. Beide Regierungen müssen dafür Hand in Hand arbeiten in der NATO und in der EU, wenn es um Sicherheitsfragen und die Unterstützung der Ukraine geht.
Wie sollte beim Thema Ukraine die Zusammenarbeit aussehen?
Aus meiner Sicht war zum Beispiel das deutsche Angebot ein tolles Signal, bei der Sicherung des polnischen Luftraums mit Abwehrraketen zu helfen. Wir haben schon ein hocheffizientes Luftabwehrsystem in die Ukraine geliefert. An dieser Stelle würde ich gerne weiterarbeiten. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass Polen und Deutschland in besonderem Maße gefordert sein werden, wenn der Krieg zu Ende ist. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die Ukraine schnell und gut wiederaufgebaut wird und dass sie ihren Weg in die EU gehen kann. Das sind große Aufgaben, historische Aufgaben und die dürfen nicht im Kleinklein des Tagesgeschäfts zerredet werden.
Was steht neben dem Großthema Ukraine an?
Es gibt viele Anknüpfungspunkte. Ich bin viel in Polen unterwegs, bei Veranstaltungen und Sitzungen. Da sehe ich viele engagierte Politikerinnen und Politiker aller Parteien, auch der PiS, die sagen: „Wir wollen, dass Deutschland und Polen mehr zusammenarbeiten“. Das gilt für Themen wie den Ausbau der Erneuerbaren Energien, die Modernisierung der Energieinfrastruktur, Fragen der Verkehrsinfrastruktur oder eine besseren wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Wenn wir Europa modernisieren wollen, Deutschland und Polen, dann werden wir zusammen mehr schaffen als jeder für sich alleine.
Dieser Apell gilt vor allem für die Regierungen?
Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die europäischen Strukturen in den Regionen zu stärken, in den Woiwodschaften, im grenzüberschreitenden Raum. Das sind klare Anforderungen von unten und sie sollten auch ein wichtiges Thema in der deutsch polnischen Regierungsarbeit sein. Oft wissen die Leute vor Ort viel genauer, was sie brauchen, als wir vielleicht im fernen Warschau oder im fernen Berlin. Diese Zusammenarbeit bei der Aufgabe, unsere Länder für die Zukunft fit zu machen, halte ich auch für einen sehr wichtigen Punkt.
Was sind speziell Aufgaben der Bundesregierung?
Deutschland sollte sich anstrengen und überlegen, was wir noch im Bereich der Aussöhnung tun können. Reparationen sind dabei nicht das Thema. Die jetzige und auch künftige deutsche Regierungen werden es ablehnen, Reparationen zu zahlen. Das ist juristisch geklärt. Aber das eine ist die juristische Frage, das andere ist die moralische Frage. Ich glaube, dass wir in Deutschland wirklich ein Zeichen setzen sollten, dass wir zu konkreten Schritten im Sinne einer Wiedergutmachung bereit sind. Wir könnten uns noch mehr engagieren im Jugendaustausch zum Beispiel, aber auch indem wir einen Zukunftsfonds finanzieren. Deutschland könnte wichtige kulturhistorische Gebäude in Polen wiederaufbauen, die in der deutschen Besatzungszeit zerstört wurden. Oder wir könnten finanzielle Zusagen geben, um die Sicherheitsarchitektur in Mittelosteuropa zu verbessern. Wir könnten weitere Schritte tun, wenn es darum geht, geraubte Kunst zurückzugeben. Es gibt da eine ganze Menge. Ich würde mich freuen, wenn Deutschland mehr tun würde als bisher.
Das ist Ihre Sicht als Polenbeauftragter der Bundesregierung?
Ich habe hier meine persönlichen Ideen formuliert. Es steht aber außer Frage, dass alle, die in Deutschland politisch Verantwortung tragen, sich ihrer historischen Verantwortung bewusst sind. Sie wollen keinen Schlussstrich, sie wollen die Aussöhnung vollenden und die Zukunft gemeinsam gestalten. Sie wollen, dass die Menschen in Polen merken: Deutschland interessiert sich für Polen. Deutschland hat eine hohe Wertschätzung für das, was Polen für Deutschland, für die europäische Einigung, für die europäische Freiheit getan hat und immer noch tut. Das sollte uns allen immer bewusst sein – und das wäre mein Wunsch an die Zukunft.