„Ohne Rechtsstaat keine Zukunft“
Die EU muss Zahlungen an strenge Bedingungen knüpfen, sagt Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Frau Rudolf, wir neigen dazu, beim Thema Menschenrechte eher auf Regionen außerhalb Europas zu blicken. Sind Menschenrechte auch in der EU gefährdet?
Ich sehe eine Gefahr durch autoritäre Strömungen, die menschenverachtende Ideologien propagieren und sogar in der Regierungspolitik umsetzen. Ungarn und Polen sind nur die sichtbarsten Beispiele. Auch in anderen Staaten betreiben Regierungspolitiker und -politikerinnen die Ausgrenzung von Geflüchteten. Sie befeuern antisemitische, rassistische, behindertenfeindliche oder homo- und transfeindliche Vorurteile. Sie werten arme Menschen ab oder verweigern Frauen die Selbstbestimmung. Die zweite Gefahr für die Menschenrechte ist, sie als selbstverständlich anzusehen. Der Staat wird Menschenrechte nur beachten, wenn man sie nachdrücklich einfordert.
Wie gehören Menschenrechte und Rechtsstaat zusammen?
Sie sind untrennbar. Menschenrechte begrenzen und steuern das Handeln des Staates. Unabhängige Gerichte schützen die Menschenrechte, wenn Regierungen, Parlamente oder Verwaltungen sie verletzen. Umgekehrt schützen die Menschenrechte den Rechtsstaat, weil sie Gesetzesklarheit, Gesetzesbindung der Verwaltung und die Unabhängigkeit der Justiz absichern.
Was kann die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in dieser Frage bewirken?
Rechtsstaatlichkeit muss oberste Priorität sein. So hat es die Bundesregierung für ihre Ratspräsidentschaft formuliert. Das Ergebnis des EU-Gipfels im Juli ist insoweit enttäuschend. Es ist nicht gelungen, die Verteilung von Geld von der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze abhängig zu machen. Damit finanziert die EU weiterhin Regierungen, die an der Abschaffung von Rechtsstaat und Menschenrechten arbeiten. Ich hoffe, dass das Europäische Parlament sich dem entgegenstellt. Ohne Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten hat die EU keine Legitimität und letztlich keine Zukunft.
Beate Rudolf ist seit 2010 Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Zuvor hat die Juristin mehr als 20 Jahre zu Grund- und Menschenrechten geforscht und gelehrt.
Interview: Helen Sibum
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