Gemeinsam für gemeinsame Sicherheit
Seit zwei Jahrzehnten arbeiten deutsche und polnische Militärs im Multinationalen Korps erfolgreich zusammen
Deutsche Panzer in Polen. 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist das noch lange keine Selbstverständlichkeit, auch unter Nato-Partnern nicht. Aber es gibt sie. Mittlerweile gehören Panzer aus deutscher Produktion zur Ausstattung der polnischen Armee. Und deshalb waren sie auch willkommen, als das Multinationale Korps Nordost in Stettin im vergangenen Herbst sein 20-jähriges Bestehen mit einer Militärparade feierte. Die Geschmäcker der Menschen in der Grenzregion gingen damals zwar auseinander, ob solche Waffenschauen in Friedenszeiten nötig sind. Doch selbst Kritiker gestehen zu, dass das Nato-Korps ein sichtbares Zeichen des gewachsenen Vertrauens zwischen Deutschen und Polen ist.
„Gemeinsames Wirken für gemeinsame Sicherheit“, gibt Sławomir Wojciechowski als Devise aus. Der polnische Generalleutnant führt das Korps seit 2018, unterstützt von dem deutschen Brigadegeneral Wolf-Jürgen Stahl als Stabschef und dem dänischen Generalmajor Ulrich Hellebjerg als Stellvertretendem Kommandeur. Neben Polen und Deutschland gehörte Dänemark schon 1999 zu den Gründungsnationen. Inzwischen sind Soldatinnen und Soldaten aus 22 weiteren Staaten in den Stettiner „Baltic Barracks“ stationiert, wie die „Ostsee-Kaserne“ auf Nato-Englisch heißt.
„Gemeinsame Verteidigungsstrategie“
Wer den Blick von Stettin aus weitet, erkennt allerdings schnell, auf welch schwierigem sicherheitspolitischen Grund sich die Bündnispartner heute wieder bewegen. Keine 500 Kilometer weiter östlich sind in der russischen Exklave Kaliningrad seit 2018 atomar bestückbare Mittelstreckenraketen vom Typ Iskander-M mit einer nominellen Reichweite von 415 Kilometern stationiert. De facto dürfte die Reichweite allerdings mehr als 500 Kilometer betragen. Damit wären nicht nur Warschau oder Breslau, sondern auch Berlin und eben Stettin erreichbar. Umgekehrt fühlt sich Russland seit vielen Jahren durch die Nato im Osten Europas bedroht.
Vor allem die Eskalation des Ukraine-Konflikts 2014 hat die Arbeitsgrundlage des Korps in Stettin geändert. Aus dem vertrauensbildenden Projekt zwischen Deutschen, Dänen und Polen wurde eine Institution von „neuer Bedeutung in der gemeinsamen Verteidigungsstrategie“, sagt Generalleutnant Wojciechowski. Zur Erinnerung: Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland im März 2014 gehörte zu den Antworten des Westens die Schaffung einer rotierenden Präsenz von Nato-Soldaten in Polen und den baltischen Staaten.
Manöver wegen Corona abgesagt
Wäre nicht die Corona-Pandemie dazwischengekommen, dann hätten Deutsche und Polen in diesen Tagen gemeinsam mit ihren Bündnispartnern an dem großangelegten Nato-Manöver „Defender 2020“ teilgenommen. Ursprünglich sollten mit starker logistischer Unterstützung der Bundeswehr knapp 30.000 US-Soldaten zu Übungszwecken ins Baltikum und nach Polen verlegt werden.
Experten wie Artur Jagnieża von der Warschauer Denkfabrik „Stiftung Sicherheit und Strategie“ sind überzeugt, dass Deutsche und Polen, die Nachbarn im Herzen Europas, mehr denn je auf gute Beziehungen angewiesen sind. Das ergebe sich schon aus den ähnlichen nationalen Interessenlagen im vereinten Europa. Das größte Problem bleiben aus Warschauer Sicht deutsche Versuche, Konfliktlösungen mit Russland in einem allzu defensiven Dialog oder sogar in Formen der Zusammenarbeit wie beim Pipelineprojekt Nord Stream zu suchen.
Dahinter stehen historische Traumata, die in Deutschland mitunter noch immer zu wenig Berücksichtigung finden, sei es in der Politik oder in Wirtschaft und Außenhandel. Denn der Zweite Weltkrieg war ja auch entsetzlicher Tiefpunkt einer mehr als 200-jährige Geschichte polnischer Leiden und Freiheitskämpfe, die erst 1989 in die endgültige Unabhängigkeit führten.
Wer diese Geschichte nicht im Kopf behält, wird kaum verstehen können, was es heißt, wenn die Bundeswehr und die polnische Armee im Rahmen der Nato inzwischen auf das Engste zusammenarbeiten. So wie in Stettin. Dort bestätigen sich seit Jahren die berühmt gewordenen Sätze von Radosław Sikorski aus dem Jahr 2011. „Als Pole fürchte ich die deutsche Macht heute weniger als die deutsche Untätigkeit“, hatte der damalige Außenminister bei einer Rede in Berlin gesagt. Sikorski ging es damals zwar in erster Linie um das deutsche Engagement in der Euro-Krise. Allerdings strich er auch heraus, wodurch er sich im 21. Jahrhundert „ganz sicher nicht mehr“ bedroht fühle: durch deutsche Panzer.