Gute Infrastruktur, fähige Fachkräfte
Deutsche Unternehmen in Polen – warum die Zusammenarbeit so gut funktioniert, erklärt Ella Grünefeld im Interview.
Seit mehr als 20 Jahren begleitet die auf deutsche Unternehmen in Polen spezialisierte Unternehmensberaterin Ella Grünefeld die wachsende Verflechtung der deutschen und polnischen Wirtschaft. Immer wieder sprang sie auch als Interimsmanagerin ein, zuletzt leitete sie die Umstrukturierung eines Zulieferers für die Möbelindustrie in Polen. Hier erklärt sie, warum die wirtschaftliche Zusammenarbeit so gut funktioniert.
Frau Grünefeld, warum zieht es so viele deutsche Unternehmen nach Polen?
Das hat vielerlei Gründe: die geografische Nähe, einen Markt von 38 Millionen Verbrauchern, eine Brückenfunktion in die ehemaligen GUS-Staaten und Nicht-EU-Länder. Dazu bietet Polen den rechtssicheren Raum eines EU-Mitglieds und eine gute und sich stetig verbessernde Infrastruktur. Das alles entwickelt eine große Anziehungskraft. Hinzu kommen die Lohnkosten in Polen, die zwar höher als in einigen anderen Ländern liegen und auch weiter steigen, für deutsche Unternehmen aber immer noch recht attraktiv sind.
Neben den Lohnkosten spielt auch die Qualifikation eine große Rolle.
Da hat Polen aus kulturellen Gründen einen großen Vorteil: Polen sind sehr technikaffin. Ich habe das als Interimsmanagerin selbst erlebt: Deutsche Ingenieure hatten für viele Probleme gute Lösungen ausgetüftelt. Aber keine Theorie kann in der Produktionspraxis hundertprozentig umgesetzt werden. Da kam dann die technische Kreativität der polnischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Tragen, wodurch die Dinge gangbar gemacht wurden. Beim Gärtnern sagt man dazu in Deutschland „Grüner Daumen“, in Polen heißt diese Fähigkeit „Goldenes Händchen“. Sehr viele Menschen haben hier eine goldenes Händchen und finden sich daher in kritischen Situationen sehr gut zurecht, finden praktikable technische Lösungen und Auswege aus vermeintlichen Sackgassen. Auch unter Zeitdruck. Da geht es dann nicht darum, wie es immer schon gemacht wurde, da zählt der schnellste Weg zum Ziel. Ich bin überzeugt, dass gerade die kulturellen Unterschiede zwischen der deutschen Strukturorientierung und der polnischen Kreativität die höchsten Synergiewerte ergeben. Deswegen ist die wirtschaftliche Zusammenarbeit so fruchtbar.
Ein „Goldenes Händchen“ ist aber sicher nicht alles?
Natürlich nicht, es beschreibt eine Fähigkeit, eine Einstellung der Menschen, die auf der Grundlage einer guten Berufsausbildung aber durchaus zu einem wirtschaftlichen Faktor in Unternehmen wird. In Polen wurde historisch sehr viel Wert auf eine gute handwerkliche Ausbildung gelegt. Bis zur Systemwende war das Land aus meiner Sicht ein Vorbild für die Berufsausbildung in der sozialistischen Staatengemeinschaft. Es gab Lernwerkstätten in Schulen und Betrieben, die hervorragend ausgebildete Fachkräfte hervorgebracht haben. Denken Sie nur daran, wie der deutsche Denkmalschutz von den exzellenten polnischen Handwerkern profitiert hat: Sie hatten eine Ausbildung und ein Wissen im Umgang mit alten Werkstoffen und traditionellen Methoden, das es in diesem Maß in Deutschland nicht gab. Davon zeugen heute noch viele spektakulär restaurierte Baudenkmäler.
Und wie sieht es heute aus?
Mit dem Ende des Sozialismus gab es erstmal einen Bruch. Die Schulen mussten sich neu erfinden, die Industrie lag darnieder, große Teile wurden von Investoren übernommen, auch deutschen, die wenig Interesse an Investitionen in die Ausbildung in bisheriger Form hatten. Das ist heute anders. Zum Beispiel kümmert sich die deutsch-polnische Industrie- und Handelskammer seit Jahrzehnten um das Thema Ausbildung, natürlich auch im Interesse der hier tätigen deutschen Unternehmen. Inzwischen wird in Polen mit großem Erfolg die duale Berufsausbildung nach deutschem Vorbild praktiziert, verzahnt zwischen Betrieben und Berufsschulen, wobei die Abschlusszeugnisse in beiden Ländern gültig sind.
Wie sieht es auf dem Arbeitsmarkt aus?
Der polnische Arbeitsmarkt ist heute stark im Umbruch. In Polen, was vielen im In- und Ausland nicht bewusst ist, werden sehr viele Arbeitsgenehmigungen für Ausländer ausgestellt. Das sind vor allem Menschen aus der Ukraine und aus Weißrussland, die sehr häufig einfachere Anlernarbeiten in der Industrie, im Dienstleistungsgewerbe oder in der Bauwirtschaft ausführen. Die qualifizierten Aufgaben übernehmen meistens Polen. Auch Frauen. Es gibt zum Beispiel einen erheblichen Unterschied bei der Zahl von Frauen in Führungspositionen zwischen Deutschland und Polen. In Polen sind es erheblich mehr. Die kulturbedingten Faktoren lassen das viel leichter zu. Polnische Mitarbeiter haben weniger Probleme als in Deutschland, eine weibliche Vorgesetzte zu akzeptieren. Das gilt übrigens genauso für deutsche Unternehmen in Polen: Mittlerweile sind zwei polnische Vorständinnen bei Volkswagen Polska. Ähnliches gilt für BASF, auch Bosch und Siemens in Polen wurden lange von Frauen geführt.
Warum siedeln sich die deutschen Unternehmen vor allem in Niederschlesien oder Posen an?
Das hängt mit dem deutschen Pragmatismus zusammen: Da gab es Autobahnen, Grenznähe und eine gute Infrastruktur. Bis Volkswagen nach Posen ging, war es üblich, dass die Unternehmen oder zumindest ihre Zentralen in Warschau saßen – was die Büromieten ins Unermessliche schnellen ließ. Volkswagen hat dann andere Unternehmen in die Gegend von Posen angezogen, Zulieferer aus Polen und der ganzen EU. Ähnliches ist in Breslau passiert. Entlang der Autobahn nach Breslau und weiter Richtung Oberschlesien haben sich die Unternehmen niedergelassen. Wenn man sich Oberschlesien mit Opel vor Augen führt, heute Stellantis, da spielen bei der Ansiedlung dann Synergien eine große Rolle. Opel folgten Unternehmen aus Frankreich, deutsche Zulieferer, italienische und natürlich auch sehr viele polnische Firmen.
Ein anderes Beispiel ist Łódź, das Zentrum der alten polnischen Textilindustrie. Nach dem Ende des Sozialismus war es am Ende: arm und heruntergekommen. Zum einen hat sich die Textilindustrie radikal modernisiert, aber nicht nur das: Heute ist Łódź ein europäisches Zentrum für weiße Ware, also Haushaltsgroßgeräte. Polen ist Spitzenreiter bei der Herstellung von weißer Ware in Europa und die meisten Geräte kommen aus Łódź. Viele von deutschen Firmen, etwa Bosch/Siemens Hausgeräte (BSH) und nun auch Miele, aber sehr viele auch von den großen italienischen und polnischen Herstellern. So entstehen dann in einer guten Infrastruktur und mit fähigen Fachkräften diese industriellen Ballungszentren und Branchencluster mit einer europaweiten Bedeutung.