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Renaissance der deutschen Philosophie

Ein Kurzinterview mit dem Philosophie-Professor Markus Gabriel von der Universität Bonn zum Welttag der Philosophie.

17.11.2015
© Markus Hintzen Photography - Markus Gabriel

Herr Professor Gabriel, Sie haben einmal gesagt, 200 Jahre lang sei Deutschland Weltmarktführer in Sachen Philosophie gewesen. Nun sei es an der Zeit, diese Tradition wieder aufleben zu lassen. Gelingt das?

Warum denn nicht! Die Konstellation, die mit großen Namen wie Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Marx, Nietzsche, Husserl usw. weltweit gewirkt hat, ist bis heute nicht vollständig verarbeitet und aktueller denn je. Es besteht jetzt die große Chance, die Grundideen dieser Tradition auf der Höhe der globalen Gegenwartsphilosophie und angesichts der wissenschaftlichen und politischen Herausforderungen unserer Zeit zu rekonstruieren. Dabei entstehen natürlich auch ganz neue Gedanken, die in den großen Klassikern nur angelegt sind. Auch Philosophen wie Habermas oder Gadamer haben genau ein solches Projekt verfolgt. Wichtig ist, die Argumente in heute akzeptabler Darstellungsform zu verteidigen.

Welchen Stand hat die deutsche Philosophie derzeit im internationalen Vergleich?

Die Philosophie in Deutschland ist deswegen international präsent und interessant, weil sie eine prinzipiell andere Richtung als die andere derzeit wirkmächtige philosophische Tradition, die US-amerikanische Gegenwartsphilosophie, einschlägt. Es kennzeichnet dasjenige, was man als „deutsche“ Philosophie anspricht, dass nicht davon ausgegangen wird, dass die Naturwissenschaften alles erklären können, was existiert. Sie richtet sich gegen den Naturalismus, der dies annimmt. Daher wurden im 19. Jahrhundert die Geisteswissenschaften auf der Grundlage der Philosophie entwickelt, woher auch das Erfolgsrezept der deutschen Universitäten des neunzehnten Jahrhunderts stammt. Der Philosoph Fichte, aber auch Hegel und Schleiermacher haben die Berliner Universität als Rektoren aufgebaut und ein Universitätssystem entwickelt, das bis zur Katastrophe von 1933 das beste der Welt war.

Welche Themen, Richtungen und Namen werden diskutiert?

Aus Deutschland weltweit diskutiert werden derzeit v.a. die Richtungen des Neuen Realismus, die Frankfurter kritische Theorie und Fortsetzungsprojekte des Deutschen Idealismus, wie sie etwa in Leipzig und Heidelberg entwickelt werden. Diese Projekte verbinden dabei insgesamt die Tugenden der US-amerikanischen Gegenwartsphilosophie (v.a. die Klarheit der Argumentation und der Theoriekonstruktion) mit der Weitsicht der deutschsprachigen Philosophie. In den USA haben dies Philosophen wie Thomas Nagel, John Searle, Judith Butler und Robert Brandom vorgemacht, in Deutschland kann dies freilich aufgrund der ansässigen Tradition viel besser gelingen. Das haben wir in der Hand. Derzeit werden international diskutiert etwa die Arbeiten von Sebastian Rödl, Rahel Jaeggi, Anton Koch und Axel Honneth, um einige Namen zu nennen, die den genannten Richtungen zuzuordnen sind. 

Sie kamen 2009 als jüngster Philosophie-Professor Deutschlands an die Uni Bonn. Wie sind Sie zur Philosophie gekommen? Und was macht den großen Reiz für Sie aus?

Schon als 15-jähriger Schüler habe ich mir die Frage gestellt, worin wir uns eigentlich vorfinden. Sind wir nur Elementarteilchenhaufen in einem bedeutungslosen Universum? Ist die wahrgenommene Wirklichkeit nur eine Illusion, eine Art Traum, oder sind wir imstande, die Dinge so zu erkennen, wie sie wirklich sind? Keine andere Wissenschaft vermag, diese Fragen begrifflich trennscharf zu klären, das ist Aufgabe der Philosophie, die natürlich im Gespräch mit den anderen Natur- und Geisteswissenschaften steht. Der große Reiz der Philosophie heute besteht für mich darin, dass es noch niemals so viele herausragende Philosophinnen und Philosophen gab, die in einem globalen Austausch von Argumenten arbeiten. Außerdem sind viele Dogmen weggefallen: man konnte eigentlich noch niemals so frei denken wie heute, was mit den Errungenschaften der Moderne zusammenhängt. Dazu trägt auch die Philosophie bei, deren Theoriekonstruktionen sich zentral um die Frage drehen, welches Weltbild (falls überhaupt eines) heute als berechtigt gelten kann. Die Philosophie denkt darüber nach, was der menschliche Geist ist, wie eine gerechte Gesellschaft funktionieren sollte und wie wir es uns verständlich machen, dass wir frei sind. In einer globalen Weltordnung ist diese Form des Nachdenkens absolut unerlässlich.

Welttag der Philosophie am 19. November 2015

www.philosophie.uni-bonn.de/personen/professoren/prof.-dr.-markus-gabriel-2

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