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Caspar David Friedrich: Meister der Stille

Vergessen, missverstanden, umjubelt: Das Werk Caspar David Friedrichs will zu seinem 250. Geburtstag einmal mehr neu entdeckt werden.

Janet SchayanJanet Schayan, 05.09.2024
Blick in die Schau in der Hamburger Kunsthalle
Blick in die Schau in der Hamburger Kunsthalle © picture alliance/dpa/Lukas Schulze

Ein Mensch am Meer, so klein, dass man ihn fast übersieht. Einsam blickt er auf schwarze Wogen, der Himmel hängt ebenso dunkel und bedrohlich über dem Horizont – nur ganz oben am Bildrand kündigt sich ein Lichtblick an, verändert sich das Grau in zartes Himmelblau. Ungeheuer modern wirken diese Farbstreifen, flächig, fast abstrakt. Gemalt hat sie Caspar David Friedrich zwischen 1808 und 1810, gut 100 Jahre vor dem Beginn der Moderne in der Kunst. Zwei Jahre soll er an dem Bild gearbeitet haben: „Es ist nemlich ein Seestük, vorne ein öder sandiger Strand, dann, das bewegte Meer, und so die Luft. Am Strande geht tiefsinnig ein Mann, in schwarzem Gewande; Möfen fliegen ängstlich schreiend um ihn her, als wollten sie ihn warnen, sich nicht auf ungestümmen Meer zu wagen.“ So beschrieb der Maler selbst sein Werk, das heute „Mönch am Meer“ heißt und der Alten Nationalgalerie in Berlin gehört.

Was der fromme Protestant Friedrich, dessen Schwester und Vater kurz vor Beginn der Arbeit an dem Bild gestorben waren, wohl in dem Motiv sah? Dasselbe wie viele von uns heute? Einen Menschen, ausgeliefert den Naturgewalten, zwischen Hoffnung und Abgrund? In Friedrichs stillen Bildern sieht und sah wohl jeder zu jeder Zeit etwas anderes. Sicher ist: Mit der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts hatte dieses Werk rein gar nichts zu tun. Es ist eigen und einzigartig – und vielleicht der vorweggenommene Urknall der Moderne.

Natur als zentrales Motiv in den Bildern von Caspar David Friedrich

Doch auch seine anderen Arbeiten sind keine Abbilder, sondern so etwas wie Collagen in Öl: Er hat die Versatzstücke der Wirklichkeit – Bäume, Hügel, Felsen, Wolken, die er auf seinen Wanderungen nach der Natur in sein Skizzenbuch zeichnete – auf der Leinwand neu zusammengesetzt– in anderer Perspektive und Anordnung, in besonderem Licht. Sein Gedanke war: „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht.“ Wenn Menschen erscheinen, dann sehen wir sie in Rückenansicht. Kunstkenner Florian Illies schreibt in seinem 2023 erschienen Biografie-Bestseller „Zauber der Stille“, Friedrich, der Meister der Naturbeobachtung und ihrer emotionalen Verinnerlichung, habe einfach keine Figuren und Gesichter malen können. Vielleicht wollte Friedrich aber auch nur, dass wir Betrachter mit seinen Figuren gemeinsam in das Bild und in die Welt blicken, die er geschaffen hat, und uns ihre Perspektive aneignen.

Der lange Weg zum bedeutendsten Künstler der deutschen Romantik

Die Suche nach spiritueller Erfahrung der Natur und die Einsamkeit des Individuums waren große Themen für Friedrich. „Der Mönch am Meer“, seine „Kreidefelsen auf Rügen“, der „Wanderer über dem Nebelmeer“ oder das zerstörerische, frostig-zerklüftete „Eismeer“ – all diese Werke sind heute Ikonen der frühen Romantik und gehören zum kollektiven Gedächtnis der deutschen Kunstgeschichte. Das war nicht immer so. Friedrich, 1774 in Greifswald an der Ostsee geboren und 1840 in Dresden gestorben, hatte zu Lebzeiten zwar Erfolg – so kaufte den „Mönch am Meer“ sogar der preußische König für seinen Sohn.

Aber nur ein Jahrzehnt später entsprachen die oft melancholisch-düsteren, geheimnisvollen Motive, die Mystifizierung der Natur nicht mehr dem Geschmack der Zeit. Der von Friedrich verehrte Dichter Goethe lästerte sogar ziemlich unfein über dessen Malerei. Noch vor seinem Tod wurde Friedrich von der Welt vergessen. Viele seiner Bilder – auch der „Wanderer“ und die „Kreidefelsen“ – blieben lange Zeit ungesehen, sogar verschollen.

Missbrauch in der Zeit des Nationalsozialismus

Erst das frühe 20. Jahrhundert entdeckte Friedrichs Kunst neu. Die Nationalsozialisten sahen einige Jahre später in seinen Arbeiten etwas „Nordisches“, „Germanisches“, das sie propagandistisch missbrauchten.

1974 wurden Friedrichs Gemälde dann zu seinem 200. Geburtstag erstmals in einer großen Ausstellung gezeigt: Im damals geteilten Deutschland schlossen sich die Hamburger Kunsthalle und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden über den „Eisernen Vorhang“ hinweg zu einer bemerkenswerten Kooperation zusammen. Und Caspar David Friedrich wurde in der Folge wiederbelebt zum Superstar der Romantik. Seine Gemälde wurden neu erforscht und neu interpretiert – der politische Künstler Friedrich, der sich für die Freiheitskämpfe gegen Napoleon einsetzte, rückte in den Fokus. Manche sehen in dem zurückhaltenden und wohl auch etwas verschrobenen Naturfreund heute gar den ersten Klimaschützer. Wie auch immer – seine Kunst spricht zeitlose Themen an, weckt Emotionen und inspirierte immer wieder andere Künstler und Künstlerinnen.

cdfriedrich.de/en/

Drei Ausstellungen zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich

Ein eigenes Bild des Meisters der Stille kann sich im Jahr seines 250. Geburtstags jeder selbst machen: Drei große Ausstellungen widmen sich dem Romantiker jeweils aus anderer Perspektive. Die Hamburger Kunsthalle betrachtet das Verhältnis von Mensch und Natur in Friedrichs Werk. Die Alte Nationalgalerie in Berlin zeigt, welche Rolle das Museum bei der Wiederentdeckung von Friedrichs Bildern im Kaiserreich spielte. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ergründen, wie die Stadt, in der der Künstler mehr als 40 Jahre lebte, sein Werk prägte. Ein gemeinsames digitales Angebot der drei Museen bietet allen, die nicht nach Deutschland reisen können, virtuelle Eindrücke von Caspar David Friedrichs Werken.