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Multitalent mit Down-Syndrom

Schauspielerin, Model, Sportlerin, Musikerin: Tamara Röske ist vielseitig und macht jungen Menschen Mut, ihre Träume zu verwirklichen.  

Clara KrugClara Krug , 16.10.2024
Tamara Röske – Schauspielerin, Model, Sportlerin, Musikerin
Tamara Röske – Schauspielerin, Model, Sportlerin, Musikerin © Yvonne Sophie Thöne

Sagen, was du denkst. Erforschen, was du möchtest. Kunst erschaffen, wie sie dir gefällt: Diese Freiheiten haben alle in Deutschland, sie sind die Basis der Demokratie – und geschützt vom Grundgesetz. Lerne junge Menschen aus Deutschland kennen, die zeigen, wie vielfältig sie diese Freiheit erleben.

 

Ein Tag im Leben von Tamara Röske muss mehr als 24 Stunden lang sein – dieser Gedanke drängt sich auf, wenn die quirlige Stuttgarterin von all ihren Hobbys und Nebenjobs erzählt: Neben ihrer Arbeit als Lageristin spielt sie in zwei Orchestern Klarinette, verausgabt sich bei den Special Olympics in mehreren Leichtathletikdisziplinen und im Schneeschuhlaufen, steht als Model in Städten wie Paris und Berlin vor der Kamera, dreht als Schauspielerin Kino- und Fernsehfilme und ist Influencerin in den Sozialen Medien. „Tamara hat unfassbar viel Energie“, sagt Antje Röske über ihre Tochter, die vor 28 Jahren mit dem Down-Syndrom geboren wurde.  

Bei dieser häufigsten Chromosomenanomalie kommt das Chromosom 21 dreimal statt zweimal vor, deshalb heißt die Genveränderung auch „Trisomie 21“: „Tri“ steht für drei und „soma“ für Chromosom. Rund 5 Millionen Menschen weltweit leben mit dem Down-Syndrom, in Deutschland werden jährlich etwa 1.200 Kinder damit geboren.  

Job auf dem regulären Arbeitsmarkt 

Die meiste Zeit der Woche verbringt Tamara Röske weder im Scheinwerferlicht noch im Stadion. 30 Stunden in der Woche arbeitet sie als Lageristin bei einem Großhändler in Stuttgart. „Das ist meine Familie“, sagt sie über ihre Kolleginnen und Kollegen. Mit großer Begeisterung erzählt sie von den flauschigen Hüllen, die sie über die Wärmflaschen stülpt, und von den Verpackungen, die sie verschweißt. Dass sie einen unbefristeten Job auf dem regulären Arbeitsmarkt fand, macht ihre Mutter stolz. „Wir kennen niemanden mit Down-Syndrom persönlich, der das geschafft hat. Tamara arbeitet in einem normalen Job als normale Kollegin, sie ist eine von vielen. Das ist großartig“, sagt ihre Mutter Antje Röske. 

Ein wenig mehr Normalität hätte sie sich für ihre Tochter schon in der Schulzeit gewünscht. Viele deutsche Schulen arbeiten inklusiv. Zum Beispiel gibt es Klassen, in denen alle Kinder unabhängig von ihren kognitiven und körperlichen Fähigkeiten gemeinsam unterrichtet werden. „Beeinträchtigte Kinder haben aber oft einen Sonderstatus. Sie bekommen eigene Pädagogen an die Seite und werden nicht als vollwertiges Klassenmitglied wahrgenommen. Ich wünsche mir für Betroffene mehr Dabeisein und Alltag“, so Antje Röske.  

Deutschlands Einsatz für die Rechte von Menschen mit Behinderung  

Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen zu schaffen, ist ein wichtiges Anliegen der deutschen Bundesregierung. Ziel ist eine inklusive Gesellschaft, in der alle überall teilhaben können: in der Schule, im Beruf, in der Freizeit. Als einer der ersten Staaten hat Deutschland 2007 das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet. Ein Nationaler Aktionsplan (NAP 2.0) mit 175 Maßnahmen in 13 Handlungsfeldern regelt die Umsetzung. Er sieht unter anderem vor, schwerbehinderte Jugendliche intensiv auf das Berufsleben vorzubereiten. Über den Aktionsplan hinaus wurde 2017 ein Bundesteilhabegesetz erarbeitet und verabschiedet. Es sieht unter anderem ausbildungsbegleitende Hilfen für junge Menschen mit Behinderungen vor. 

Mit Herzblut und Disziplin 

Tamara Röske wurde 1996 mit dem Down-Syndrom geboren.
Tamara Röske wurde 1996 mit dem Down-Syndrom geboren. © Yvonne Sophie Thöne

Tamara Röske nahm über ihre Schule an einem berufsvorbereitenden Programm teil, machte verschiedene Praktika im Kindergarten und im Supermarkt, bis sie schließlich ihre jetzige Arbeitsstelle fand. In ihrer Freizeit ist die junge Stuttgarterin oft unterwegs. Die vielen Termine in der Woche würden locker reichen, um die Kalender zweier Erwachsener zu befüllen. Trotzdem fühlt sie sich nicht gestresst. Ihren bunten Alltag empfindet sie als große Bereicherung. „Tamara steht mitten im Leben. Die Freiräume und Möglichkeiten, die sie heute hat, hat sie sich hart erarbeitet“, sagt ihre Mutter.  

Tamara steht mitten im Leben. Die Freiräume und Möglichkeiten, die sie heute hat, hat sie sich hart erarbeitet.
Antje Röske, Mutter von Tamara Röske

Mittwochs zum Beispiel fährt sie nach der Arbeit selbständig mit dem Bus ins Leichtathletiktraining. „Das haben wir lange geübt, ich kann Tamara sorglos allein mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln fahren lassen“, so Antje Röske. Ihre Tochter habe einen großen Lernwillen und einen riesigen Ehrgeiz. Bemerkbar macht sich der nicht nur bei internationalen Turnieren wie den Special Olympics World Games, wo sie schon mehrere Medaillen gewann. Auch für ihre Kino- und Filmrollen übt sie mit viel Fleiß und Disziplin Texte und Szenen. In mehreren Fernseh- und Kinofilmen hat sie schon mitgewirkt, etwa im dritten Teil von „Fack ju Göhte“, einem Kinofilm mit sechs Millionen Zuschauenden in Deutschland. Mit Herzblut und ohne zu meckern mache Tamara alles, was bei einer Filmrolle dazugehöre, so ihre Mutter. „Das macht mir einfach Spaß“, sagt Tamara Röske.  

Aufträge von Adidas und Victoria Beckham 

Bevor sie als Schauspielerin auftrat, stand sie schon als Model vor der Kamera, zum ersten Mal im Alter von elf Jahren. Für die Bildbände der Stuttgarter Fotografin Conny Wenk reiste sie nach Paris, es folgten weitere Aufnahmen für die Auftraggeberin, die selbst Mutter eines Kindes mit Down-Syndrom ist.  

Ich zeige, wie ich bin.
Tamara Röske, Model und Schauspielerin

Auch für Modeshootings von Adidas, Hugo Boss und Victoria Beckham wird sie gebucht und ist in Zeitschriften wie der „Vogue“ zu sehen. „Ich zeige, wie ich bin“, erzählt Tamara Röske. Sie liebe es, aufwendig geschminkt zu werden und extravagante Kleidung zu tragen. Viele der Bilder sind auf ihrem Instagram-Kanal zu sehen, 20.000 Followerinnen und Follower hat sie. Ob Modelbusiness, Sport oder Film: Träume lassen sich verwirklichen – das spiegelt Tamara Röske mit allem, was sie tut, wider und ist anderen, wie sie in den Kommentaren unter ihren Posts und in Nachrichten erfährt, ein Vorbild.  

Ein nächster Wunsch, den sie seit Langem hegt, wird sich bald erfüllen: Mit ihrer Freundin Giuliana, die ebenfalls das Down-Syndrom hat, zieht sie in eine betreute Wohnung – und gewinnt damit ein weiteres Stück Freiheit.