Vorausschauend und partnerschaftlich helfen
Weltweit sind immer mehr Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Wie Deutschland hilft und auf neue Herausforderungen reagiert.
Seit 2016 ist Bärbel Kofler die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe. Mit ihr haben wir darüber gesprochen, wie Deutschland auf veränderte Herausforderungen in der humanitären Hilfe reagiert.
Frau Kofler, schon seit über 50 Jahren ist humanitäre Hilfe ein zentraler Bestandteil von Deutschlands Außenpolitik. Im April 2019 hat das Auswärtige Amt eine neue Strategie vorgestellt. Was hat sich geändert?
Die erste Strategie zur humanitären Hilfe im Ausland des Auswärtigen Amtes wurde 2012 veröffentlicht. Seitdem gab es innerhalb des internationalen humanitären Systems zahlreiche Veränderungen und Entwicklungen. Der Humanitäre Weltgipfel 2016 und der dort geschlossene „Grand Bargain“ waren richtungsweisend für neue Initiativen innerhalb des internationalen humanitären Systems. Die umfangreichen Verpflichtungen, die Deutschland dort eingegangen ist, um die Effektivität und Effizienz der humanitären Hilfe zu steigern, sind ein wichtiger Referenzpunkt.
Die Zahl, die Dauer und die Komplexität humanitärer Krisen haben in den letzten Jahren stetig zugenommen. Auch geraten immer mehr Krisen in Vergessenheit. Konflikte, Naturkatastrophen und Epidemien sorgen für steigende humanitäre Bedarfe und erfordern neue Lösungsansätze.
Auch die Rolle Deutschlands als humanitärer Akteur hat sich weiterentwickelt. Deutschland ist aktuell zweitgrößter humanitärer bilateraler Geber. Wir stellen uns dieser Verantwortung und werden auch zukünftig das internationale humanitäre System mitgestalten. Humanitäre Hilfe ist ein integraler Bestandteil deutscher Außenpolitik, dafür mache auch ich mich immer wieder stark. Mit der neuen Strategie hat das Auswärtige Amt nochmals definiert, wie deutsche humanitäre Hilfe gestaltet werden soll – mit einem partnerschaftlichen Ansatz und den humanitären Prinzipien verpflichtet – und welche thematischen Schwerpunkte gesetzt werden.
Und wo liegen derzeit die Schwerpunkte?
Deutschland engagiert sich für das humanitäre System als Ganzes und beschäftigt sich mit vielen verschiedenen Themen. Natürlich werden Prioritäten gesetzt. Dazu gehören der Schutz von Flüchtlingen und Vertriebenen, deren Zahl weltweit zunimmt. Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin in die Umsetzung des Globalen Pakts für Flüchtlinge einbringen und ihre humanitäre Arbeit im Flüchtlingsbereich daran ausrichten.
Auch Klimawandel und Naturkatastrophen führen zu immer höheren humanitären Bedarfen. Deshalb setzt sich Deutschland seit einigen Jahren für einen Paradigmenwechsel in der humanitären Hilfe ein: weg vom bloßen Reagieren auf humanitäre Krisen hin zu vorausschauender und antizipierender humanitärer Hilfe. Unsere humanitäre Katastrophenvorsorge werden wir fortsetzen und ausbauen. Dabei wollen wir zusammen mit unseren humanitären Partnern sowohl Lösungen für Extremwetterereignisse als auch für schleichende Katastrophen wie Dürren erarbeiten.
Ist es schwieriger geworden, in instabilen Regionen humanitäre Hilfe zu leisten?
In den Konflikten, mit denen wir heute in Krisen konfrontiert sind, beobachten wir eine verbreitete Missachtung der humanitären Prinzipien und des humanitären Völkerrechts. Dadurch wird der Zugang humanitärer Helferinnen und Helfer zu Notleidenden, aber auch deren Zugang zu Hilfsmaßnahmen erheblich erschwert. Deutschland wird sich auch in Zukunft nachdrücklich für die Stärkung humanitären Zugangs engagieren. Dies ist ein Schwerpunktthema der aktuellen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat.
Als verantwortungsvoller Geber wird Deutschland sich für die Aufrechterhaltung des „humanitären Raums“ und den Schutz humanitärer Helferinnen und Helfer einsetzen. Damit eng verbunden ist das Engagement für vergessene Krisen, das fortgeführt wird.
Nicht zuletzt setzt sich Deutschland für Innovation in der humanitären Hilfe ein. Dazu zählen sowohl technische Entwicklungen als auch neue Denkansätze und das Vernetzen von Akteurinnen und Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und humanitärer Hilfe. Dabei ist uns auch die Einbeziehung lokaler humanitärer Akteurinnen und Akteure und ihrer Ansätze wichtig.
Mehr über gegenwärtige Herausforderungen für humanitäre Hilfe lesen Sie hier
Wie arbeitet Deutschland in den Einsatzgebieten mit lokalen und internationalen Partnern zusammen?
Deutschland arbeitet auf Basis eines partnerschaftlichen Ansatzes und berücksichtigt dabei das breite Spektrum der humanitären Akteure. Dazu gehören insbesondere die UN-Organisationen, die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung sowie deutsche und internationale Nichtregierungsorganisationen. Zuwendungen werden so direkt wie möglich an lokale und nationale Akteure weitergeleitet. 2018 war das bereits für etwa 20 Prozent der Zuwendungen der Fall.
Neben finanzieller Förderung von lokalen und nationalen Akteuren ist für die Erreichung der Verpflichtungen im Rahmen des „Grand Bargain“ im Bereich der Lokalisierung auch eine bessere Planbarkeit der Förderung durch mehrjährige Finanzierungszusagen, sowie die effiziente Kapazitätsstärkung etwa durch personelle Trainings und Fortbildungsangebote relevant, weil diese zu einer Stärkung der Rolle dieser Akteure im humanitären System führen. Insbesondere mit Blick auf mehrjährige Finanzierungszusagen und die damit einhergehende Verlässlichkeit hat Deutschland bereits große Fortschritte gemacht und gewährt einen Großteil seiner Förderungen mittlerweile über einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten. Die Kapazitätsstärkung der lokalen und nationalen Akteure ist fester Bestandteil der regionalen Projekte.
Wie leistet Deutschland präventive humanitäre Hilfe?
Neben der Not- und Soforthilfe hat sich die humanitäre Katastrophenvorsorge als unverzichtbarer Bestandteil in der humanitären Hilfe des Auswärtigen Amts etabliert. Maßnahmen der Katastrophenvorsorge sowie zur Verbesserung von Frühwarnsystemen in von Katastrophen besonders gefährdeten Ländern oder Regionen spielen in unserer humanitären Hilfe eine zentrale Rolle.
Besonders wichtig ist, die Reaktionsfähigkeit der lokalen humanitären Akteure zu stärken. Wir unterstützen sie intensiv darin, Risiken gezielt zu reduzieren, Frühwarnsysteme zu verbessern und sich effektiv auf Katastrophen vorzubereiten.
Mitte Mai habe ich als Beauftragte der Bundesregierung für Humanitäre Hilfe an der Globalen Plattform für Katastrophenvorsorge in Genf mit über 4.000 Teilnehmern aus 170 Ländern teilgenommen. Die 2006 gegründete Plattform ist das weltweit wichtigste Forum der UN für die strategische Beratung, Koordinierung und Überprüfung der Umsetzung von Zielen der internationalen Katastrophenvorsorge und des Katastrophenrisikomanagements.
Interview: Tanja Zech
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