Artikel 1: Menschenwürde
Fußballweltmeisterin und Diplom-Pädagogin Nia Künzer: Wir sind weit gekommen, haben aber immer noch viel zu tun.
Das Grundgesetz beginnt mit den Worten „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – und das nicht ohne Grund. Diesen Satz halte ich für zentral, weil er den Geist des Grundgesetzes und damit der Bundesrepublik Deutschland prägt. Zugleich reicht er weit über jeden Gesetzestext hinaus; er bildet die Basis für ein friedliches Zusammenleben generell, hier genauso wie in anderen Teilen der Welt.
Für mich ist der Satz die juristische oder kollektive Fortführung des Kategorischen Imperativs von Immanuel Kant. Hielte sich jeder daran, wäre ein guter Teil unserer Probleme gelöst. Deshalb erachte ich Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes als eine enorme Errungenschaft. Hier haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes einen großen zivilisatorischen Sprung gemacht.
Dass die Menschenrechte in Absatz 2 als unveräußerlich und als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft bezeichnet werden, ist eine logische Präzisierung von Artikel 1, aber auch aus der historischen Situation zu verstehen, auf der das Grundgesetz fußt: Die Katastrophe des Nationalsozialismus machte eine solche Ausformulierung wohl nötig, auch den Verweis auf Frieden und Gerechtigkeit in der Welt, obwohl das alles eigentlich klar sein sollte.
Haben wir Artikel 1 verwirklicht, leben wir ihn? Wir sind weit gekommen, aber auch weit davon entfernt, perfekt zu sein: Stichwort Armut in Deutschland, Chancenungleichheit im Bildungssystem, Waffenverkäufe in zweifelhafte Länder, Entwicklungszusammenarbeit mit Staaten, in denen Menschenrechte nicht eingehalten werden, und vieles mehr.
So vertraut uns Artikel 1 als Leitmotiv erscheint, so sehr wir die Formulierung verinnerlicht haben – selbstverständlich ist er nicht. Um seine Verwirklichung müssen wir immer wieder aufs Neue ringen, Politiker genauso wie alle anderen Bürger. Die Arbeit daran hört nie auf. Insofern ist Artikel 1 des Grundgesetzes heute aktuell und drängend wie damals vor 70 Jahren, auch wenn seither einige Jahrzehnte guter demokratischer Tradition dazwischen liegen. Er hat nichts an seiner Bedeutung und Strahlkraft, aber vor allem auch an seinem Auftrag verloren.
Grundgesetz Artikel 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
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