„Lokale Akteure spielen eine zentrale Rolle“
Wie gelangt humanitäre Hilfe schnell zu den Menschen, die sie benötigen? Maren Rahlf von der Welthungerhilfe erläutert das Konzept der Lokalisierung.
Seit März 2020 setzen sich Caritas Deutschland, die Deutsche Welthungerhilfe, die Diakonie Katastrophenhilfe und Malteser International in einem speziellen Programm dafür ein, lokale Organisationen im Bereich humanitärer Hilfe zu stärken. Derzeit ist es in acht Ländern – Äthiopien, Bangladesch, der Demokratischen Republik Kongo, Indonesien, Kolumbien, Myanmar, Pakistan und Somalia – aktiv. Insgesamt sind 38 lokale Akteure eingebunden. Das Programm nennt sich Towards Greater Effectiveness and Timeliness in Humanitarian Emergency Response, kurz ToGETHER, und wird vom Auswärtigen Amt unterstützt.
Frau Rahlf, Sie arbeiten für die Deutsche Welthungerhilfe und koordinieren das ToGETHER-Programm. Dabei geht es um die Lokalisierung humanitärer Hilfe in acht Ländern des sogenannten Globalen Südens. Was ist damit gemeint?
Viele Regionen der Welt sind von Dürren, Flutkatastrophen, gewaltsamen Konflikten und anderen humanitären Katastrophen betroffen. Humanitäre Hilfsaktionen internationaler Organisationen unterstützen die Menschen in der jeweiligen Region. Oft arbeiten sie mit lokalen Organisationen zusammen. Diese Akteure spielen eine zentrale Rolle: Sie sind Teil der betroffenen Bevölkerung, kennen den lokalen Kontext am besten und wissen daher genau, was die Menschen benötigen. Sie werden aber immer noch zu wenig in Entscheidungen zu humanitären Hilfsaktionen eingebunden. Wir möchten lokale Organisationen stärken, indem wir ihnen Entscheidungsgewalt übertragen, Machtverhältnisse zu ihren Gunsten ändern und humanitäre Hilfe dadurch schneller und effizienter gestalten. „Nothing about us without us“ – das ist die Prämisse der lokalen Akteure.
Wie gehen Sie vor?
Uns geht es um die Stärkung der gesamten Zivilgesellschaft. Wir bemühen uns zum Beispiel darum, die lokalen Akteure in den internationalen Diskurs einzubinden und mit ihnen gemeinsam Lobbyarbeit zu betreiben. Außerdem stärken wir sie in den Bereichen Kapazitätsaufbau und Austausch. In Zusammenarbeit mit uns evaluieren sie sich selbst und untersuchen, in welchen Bereichen es Verbesserungspotenzial gibt oder wo es ihnen an Infrastruktur mangelt. Wichtig ist auch, wie sie Vorgaben und Regularien der internationalen Geber erfüllen können – ganz praktisch ist hier etwa die Frage, welche Buchhaltungssysteme in Deutschland anerkannt sind. Die Projektfinanzierung spielt für die lokalen Organisationen natürlich eine wichtige Rolle, sorgt aber gleichzeitig für bestimmte Machverhältnisse, die wir durchbrechen wollen. Insgesamt geht es weniger um Fachwissen zur humanitären Hilfe, sondern um administrative und infrastrukturelle Herausforderungen. Zum Thema Projektfinanzierung oder Antragstellung führen wir zum Beispiel Trainings durch.
Eine besondere Komponente des ToGETHER-Programms ist die flexible Finanzierung. Worum geht es dabei?
Unsere lokalen Partner haben in ihrem jeweiligen Land Steuerungskomitees gebildet. In diesen Gremien einigen sie sich zum Beispiel über die praktische Umsetzung bestimmter Hilfsprojekte in der Region. Auch treffen sie hier gemeinsam die Entscheidung, wie das zur Verfügung stehende finanzielle Budget sinnvoll eingesetzt oder vergeben werden kann. Das schätzen unsere Partner sehr. In dem Steuerungskomitee können einzelne lokale Organisationen auch Anträge stellen und in der Gruppe evaluieren. Der Lerneffekt ist dabei sehr groß – auch für die deutschen Projektpartner.
Inwiefern?
Bei akuten Krisen geht es um schnelles, effizientes Handeln. Das gelingt vor allem durch Kontextwissen, also durch Kompetenzen, die nur die lokalen Organisationen besitzen. Oft haben sie dadurch viel schneller geeignete, an die Gegebenheiten angepasste Lösungen parat als die internationalen Partner. Im Gegenzug schätzen die lokalen Akteure uns internationale Partner für unser Wissen, wenn es etwa um Finanzierung, Ressourcenmobilisierung, Geberlandschaft, Antragstellung oder technische Innovationen geht.
Welche Rückmeldung geben Ihnen die lokalen Partner?
Das Feedback ist sehr positiv. Unsere Partner haben das Gefühl, ernstgenommen zu werden, wirklich eine Entscheidungsgewalt zu haben und auf Augenhöhe mit uns zusammenzuarbeiten. Dennoch gibt es Verbesserungsmöglichkeiten, denn die Gesamtstruktur des internationalen Systems ist nach wie vor sehr Top-down. Daran wollen wir in Zukunft weiterarbeiten – zum Beispiel, indem wir die lokalen Organisationen und ihre Leistungen in der internationalen Gemeinschaft noch sichtbarer machen. Wichtig ist auch, dass sie sich untereinander noch besser vernetzen. Unsere lokalen Partner aus aller Welt bringen wir digital zusammen und fördern so den Austausch.
Lesen Sie hier, was die lokalen Partner von ToGETHER zu dem Programm sagen.
Wie Deutschland hilft – hier erhalten Sie weitere Informationen.