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Warum Deutschland (heimlich) Trash-TV liebt

Wolf ZinnWolf Zinn, 09.01.2025
RealityTV

Es gibt zwei Arten von Deutschen: Die, die zugeben, Reality-TV zu schauen, und die, die es nicht zugeben – es aber trotzdem tun. Denn während nur 11 Prozent bekennen, diese Formate gern zu sehen, sprechen die Einschaltquoten eine andere Sprache. So zieht etwa „Bauer sucht Frau“ Millionen vor den Fernseher, um zu erleben, wie ein rustikaler Landwirt in Gummistiefeln seiner Angebeteten einen Heiratsantrag macht – begleitet vom zustimmenden Grunzen der Schweine. „Dschungelcamp“ ist ein nationales Event, und auch Formate wie „Bachelor“ oder „Deutschland sucht den Superstar“ haben ihre treue Fangemeinde. Vom Klempner bis zur Professorin sind da alle vereint – insofern überwindet Trash-TV kulturelle Gräben.

Es ist wie Goethe auf Speed: Denn es geht um die ganz großen Themen – Liebe, Verrat, Rache und Kakerlaken. Der „Bachelor“ liefert pure Romantik: Aufgebrezelte Damen buhlen um die Gunst eines Schönlings mit der intellektuellen Tiefe eines gebügelten Slim-Fit-Hemdes. Im „Dschungelcamp“ wird Prominenz auf eine neue Art definiert, die uns vor Augen führt, wie dicht Erfolg und Absturz beieinanderliegen: Etwa, wenn ein Ex-Promi nach dem Mehlwurm-Snack verzweifelt einen Stern aus einem Eimer mit Innereien fischt.

Es gibt sogar Wissenschaftler, die sich mit Reality-TV beschäftigen. Manche behaupten, der Konsum trage zur Verdummung bei. Unsinn. Es handelt sich vielmehr um eine sozialpsychologische Studie: Wie weit gehen Menschen für Aufmerksamkeit, Geld und Instagram-Follower? Spoiler: Ziemlich weit.

Klar ist: Reality-TV ist so real wie die Begeisterung über Omas Weihnachtsgeschenk (wieder selbstgestrickte Socken!). „Dramatische Szenen“ sind gescriptet, Dialoge klingen so authentisch wie im Schultheater. 

Aber worin liegt dann der Reiz der deutschen Fremdschäm-Abenteuer? Vielleicht schlicht darin, dass wir einschalten, um abzuschalten. Wir brauchen das bunte Spektakel, weil es uns in eine Welt entführt, die noch verrückter ist als unsere eigene.