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Konsum mit gutem Gewissen

„Lohas“ – das Kürzel steht für einen gesunden und nachhaltigen Lebensstil. Wer zu dieser Gruppe gehört, konsumiert mit Lust, aber immer ökologisch korrekt.

14.08.2012
© Jan Greune

Als Kind wollte sie Papst werden – oder Bundeskanzlerin. Einflussreich und weit oben in der Hierarchie, so könnte man die Welt verändern, dachte Claudia Langer. Aus dem Berufswunsch wurde nichts, sie gründete eine Werbeagentur, die sie zwölf Jahre später wieder verkaufte. Die Welt verändern will Claudia Langer noch immer, nun aber mit einer anderen Strategie: von unten. Im vergangenen Jahr gründete sie das Internetportal utopia.de. „Ich glaube an die Macht der Konsumenten“, sagt die 43-Jährige heute.

Utopia.de, das Internetportal für „strategischen Konsum und nachhaltigen Lebensstil“, ist die Speerspitze der neuen deutschen Ökobewegung. Mehr als 17000 „Utopisten“ haben sich hier innerhalb eines halben Jahres registriert, sie diskutieren über Solarzellen auf dem Dach, Naturkosmetik auf der Haut, und wie man im Skiurlaub der Umwelt möglichst wenig schadet. Mit der Ökobewegung der 80er-Jahre haben sie jedoch wenig gemein. Sie fahren ins Wellnesshotel statt zur Friedensdemo, sie essen Biomangos statt Müsli, sie wollen Öko mit Spaß verbinden und nicht mit Verzicht. „Kauf Dir eine schönere Welt!“, so formuliert es Claudia Langer, die täglich mit dem Dilemma lebt, wie sie Anspruch und Wirklichkeit miteinander in Einklang bringt und auch schon mal mit dem Flugzeug von einer Reise nach Hause jettet, damit sie abends bei ihren Kindern sein kann.

Den Trend zum nachhaltigen Konsum beobachten Soziologen und Marktforscher in Australien wie in den USA, in Asien wie in Europa. Als Vorreiter haben sie die „Lohas“ ausgemacht – das Kürzel steht für Lifestyle of Health and Sustainability, also gesunder und nachhaltiger Lebensstil. „Die gesellschaftlichen Strömungen zu mehr Nachhaltigkeit sind schon länger da“, sagt der Soziologe Thomas Perry vom Heidelberger Marktforschungsinstitut Sinus Sociovision, „aber die Lohas geben diesen Strömungen nun ein Gesicht.“ Der Unterschied zu früher? „Die Lohas haben das Asketische hinter sich gelassen und verknüpfen Nachhaltigkeit mit einem hedonistischen Element.“ Fred Grimm, der einen Einkaufsführer für ethisch-ökologischen Konsum geschrieben hat, sagt: „Viele Menschen sind immer seltener bereit, mit schlechtem Gewissen zu konsumieren.“

Auslöser für das Umdenken gibt es viele. Zunächst brachten die Rinderseuche BSE und Lebensmittelskandale immer mehr Menschen dazu, Biolebensmittel zu kaufen. Früher musste man sich dafür in einen Bioladen namens Rapunzel oder Löwenzahn mit hölzerner Kasse und schrumpeligen Möhren vorwagen, heute verkaufen sogar die Discounter Biogemüse, und es gibt moderne Bio-Supermärkte wie „basic“. „Wir hatten verstanden, dass die Kundinnen und Kunden möglichst regionale, schadstofffreie und in diesem Sinne sichere Lebensmittel haben wollten, also Bio“, sagt basic-Mitgründer Georg Schweisfurth, „gleichzeitig erfüllten wir den Anspruch auf appetitliche Präsentation, große Auswahl und ein geschmackvolles, modernes Laden-Appeal, was den hochwertigen Produkten Rechnung trug.“

Mit der Veröffentlichung des Weltklimaberichts im Frühjahr 2007 gewann die Bewegung noch einmal an Fahrt. „Das ging wie eine Schockwelle durchs Land“, sagt Marktforscher Thomas Perry, „sämtliche Umweltindikatoren stiegen sprunghaft nach oben.“ Der Einfluss der Lohas gründet nicht auf politischer Macht, sondern auf ihrer kollektiven Kaufkraft. Der Wirtschaftswissenschaftler Werner F. Schulz, Professor für Umweltmanagement an der Universität Hohenheim bei Stutt­gart, schätzt die Zahl der neuen Ökokonsumenten in Deutschland auf etwa acht Millionen und ihre Kaufkraft auf rund 200 Milliarden Euro (siehe Interview Seite 8). Schulz ist sicher: „Der Megatrend wird weiter andauern.“

Die Sozialwissenschaftler des Heidelberger Sinus-Instituts sehen den Anteil der Lohas an der deutschen Bevölkerung sogar bei beachtlichen 20 Prozent. Gemeinsam mit dem Marktforschungsunternehmen Microm haben sie gerade für jede Stadt mit mehr als 70000 Einwohnern einen Atlas fertiggestellt, der die Lohas-Dichte in jeder Straße zeigt. Die Hauptstadt der Lohas ist demnach Tübingen in Baden-Württemberg, gefolgt von Norderstedt bei Hamburg, Ingolstadt, Freiburg, Münster und Potsdam. „Es geht nicht um Revolution“, sagt Peter Parwan, der seit zwei Jahren die Website lohas.de betreibt und unter lohas-lifestyle.de fleißig im Namen der Nachhaltigkeit bloggt. Die Menschen sehnten sich schlicht nach mehr Lebensqualität. „Ich sehe das eher unpolitisch.“

Lohas seien entspannter als die „früheren Ökopropagandisten“, bestätigt der Soziologe Thomas Perry, „sie sind pragmatischer und neigen nicht zu den alten Grabenkämpfen.“ In Deutschland sei dieser Pragmatismus vor allem der Wiedervereinigung geschuldet, „1990 sind viele ideologische Schubladen zerbrochen“. Aber unpolitisch seien die Lohas keineswegs, meint der Heidelberger Sozialforscher. „Sie wollen ja gerade Konsumentscheidungen als Hebel nutzen, um eine andere ‚Politik‘ der Unternehmen zu bewirken. Das ist politisch gedacht, nur eben nicht im Rahmen des politischen institutionellen Systems.“

Viele Unternehmen haben die zahlungskräftigen Lohas längst ins Visier genommen. Sie verkaufen ihnen Ökostrom und Hybrid-Autos, Naturcremes oder einfach nur schicke Obstdrinks. So trafen die drei Studenten Inga Koster, Marco Knauf und Nicolas Lecloux offenbar einen Nerv, als sie mit ihrem Start-up „true fruits“ Fruchtdrinks ohne Zuckerzusatz und Konservierungsstoffe als Smoothies in den Handel brachten. Aber auch etablierte Konzerne geben sich plötzlich ganz grün, egal, ob sie Kohlekraftwerke betreiben oder Autos verkaufen. Sie massieren die Zielgruppe seit der neu aufgeflammten Diskussion um die globale Erwärmung mit entsprechenden Kampagnen. Die Lage wird unübersichtlich. Was ist wirklich grün und was nur grün gewaschen? Für Laien ist das schwer zu durchschauen.

Ob die neue Ökobewegung selbst ein nachhaltiges Phänomen ist? Bekommen wir eine Gesellschaft voller Lohas? Auch wenn der Lohas-Trend von manchen mit Skepsis gesehen wird, das neu erwachte Nachhaltigkeitsgewissen in breiten Teilen der Bevölkerung wird wohl nicht so schnell wieder verschwinden. „Das Thema bleibt uns erhalten“, sagt Konrad Götz vom Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt. Die Voraussetzungen seien heute anders als vor 30 Jahren: Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz würden von den Vereinten Nationen bis zur Bundeskanzlerin eingefordert. Die Industrie reagiere darauf mit echten Innovationen. Und: Es gebe eine breite Zielgruppe mit ökologischem Bewusstsein. „Diese Kombination ist neu“, sagt Götz. Er ist sicher: „Das lässt sich nicht so einfach zurückschrauben.“