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Wo beginnen die Grenzen der Meinungsfreiheit?

Freie Meinungsäußerung ist in Deutschland ein Grundrecht – und hat dennoch Schranken. Eine rechtliche Einordung dieses viel diskutierten Themas.

Wolf ZinnWolf Zinn, 20.02.2025
Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut.
Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut. © sibway/iStock

Beim Thema Meinungsfreiheit kann man unterschiedlicher Meinung sein. Mit seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2025 hatte US-Vizepräsident J. D. Vance für Irritation gesorgt. Denn er stellte die gemeinsamen Werte von Europa und den USA infrage: Er sieht offenbar die Meinungsfreiheit in Deutschland und anderen europäischen Staaten in Gefahr. Später legte Vance auf der Plattform X nach und warf der deutschen Justiz eine Kriminalisierung von Meinungsäußerungen vor. „Jemanden zu beleidigen, ist kein Verbrechen, und Sprache zu kriminalisieren, wird eine echte Belastung für die europäisch-amerikanischen Beziehungen sein“, schrieb er.

Vance bezog sich dabei auf einen Bericht des US-Senders CBS. Die Sendung „60 Minutes“ zeigt, wie Deutschland gegen Hassreden und Beleidigungen im Internet vorgeht. Seitdem wird in den sozialen Medien mehr denn je über die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen debattiert. Grund genug, um einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und der EU zu geben.

Meinungsfreiheit im deutschen Recht

Die Meinungsfreiheit ist ein zentrales Grundrecht in Deutschland, verankert in Artikel 5 des Grundgesetzes, also der deutschen Verfassung. Sie garantiert jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Dazu zählt auch die Pressefreiheit – eine Zensur findet nicht statt. Von diesem Recht machen Millionen Menschen in Deutschland tagtäglich Gebrauch – ob in persönlichen Gesprächen und politischen Debatten, auf Demonstrationen oder in kontroversen Diskussionen in sozialen Medien. 

Großer Spielraum

Der Spielraum ist groß: Politische oder sonstige Meinungsäußerungen sind grundsätzlich geschützt, selbst wenn sie polemisch oder überspitzt formuliert sind. So urteilte das Bundesverfassungsgericht etwa, dass die Aussage „Soldaten sind Mörder“ unter die Meinungsfreiheit fällt. Zudem ist Satire – etwa von Kabarettisten oder Karikaturisten – nicht nur Ausdruck der Meinungsfreiheit, sondern wird auch durch die Kunstfreiheit (Artikel 5 Absatz 3 GG) geschützt. Die Rechtsprechung betont, dass Satire durch Übertreibung, Ironie und Provokation gesellschaftliche Diskussionen anstoßen darf. So machen sich viele deutsche Comedians mit teils derben Witzen über Politikerinnen und Politiker lustig – ohne jegliche Sanktionen befürchten zu müssen.

Grenzen der Meinungsfreiheit

Die Meinungsfreiheit stößt dort an ihre Grenzen, wo sie mit anderen Rechten und Gesetzen kollidiert. Einschränkungen ergeben sich unter anderem aus den Persönlichkeitsrechten, dem Jugendschutz und dem Recht der persönlichen Ehre. Beleidigungen, Hasskommentare, Verleumdungen sowie rassistische, antisemitische und verfassungsfeindliche Aussagen sind Beispiele für strafbare Handlungen, die nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Darunter fällt auch die Publikation von Symbolen und Parolen extremistischer Gruppierungen. Die besondere Sensibilität gegenüber rechtsextremen Äußerungen ist eine Folge der historischen Verantwortung Deutschlands. Insbesondere die Leugnung des Holocausts wird als Angriff auf die Grundwerte der Bundesrepublik gewertet und ist daher strafbar. Auch die Verbreitung von Lügen bzw. Fake News kann in bestimmten Fällen strafbar sein, etwa wenn sie den Tatbestand der Verleumdung oder Volksverhetzung erfüllen. Es bedarf stets einer genauen Prüfung, wo die Meinungsfreiheit endet und eine Strafbarkeit beginnt. Die Staatsanwaltschaften und Gerichte müssen daher in jedem Einzelfall sorgfältig zwischen den unterschiedlichen Rechtsgütern abwägen.

Vielfältige Ermittlungen

Die Entscheidungen der Justiz und die Maßnahmen der Ermittlungsbehörden können deutlich variieren und werden in der Öffentlichkeit lebhaft diskutiert – wiederum ein Ausdruck der Meinungsfreiheit. So wurden kürzlich Razzien bei rund 50 Personen durchgeführt, die in Verdacht stehen, online Hassrede verbreitet zu haben – überwiegend politisch motiviert und teils antisemitisch. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist die Verwendung der Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ bei einer Berlinale-Veranstaltung, die als antisemitisch kritisiert wurde und Ermittlungen des Staatsschutzes nach sich zog. 

Der Fall Künast

Von rechtlicher Relevanz ist eine Klage der Grünen-Politikerin Renate Künast. Es geht um ein Meme, das ein Bild von Künast mit einem angeblichen Zitat zeigt: „Integration fängt damit an, dass sie als Deutscher mal Türkisch lernen.“ Das Meme wurde bei Facebook in unterschiedlichen Varianten veröffentlicht und vielfach geteilt. Künast hat den Satz nie gesagt und dies auch belegt – sie klagt auf Unterlassung und ein Schmerzensgeld. Die juristische Frage, die nun am Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt wird, lautet: Welche Ansprüche haben Betroffene gegen Onlineplattformen, wenn dort Falschbehauptungen über sie verbreitet werden? Der BGH will zunächst eine anstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einem ähnlichen Fall abwarten. 

Welche Rechtsprechung gilt in Deutschland und der EU? 

Seit Februar 2022 müssen soziale Netzwerke in Deutschland strafbare Inhalte nicht nur löschen, sondern an das Bundeskriminalamt melden. Dafür wurde die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) eingerichtet. Im Februar 2024 trat der Digital Services Act (DSA) in der gesamten EU in Kraft. Das Gesetz gilt für alle Anbieter von digitalen Diensten und schafft einen europaweit einheitlichen Rechtsrahmen. Es verpflichtet unter anderem die Anbieter von Onlineplattformen, ihren Nutzerinnen und Nutzern zu ermöglichen, rechtswidrige Inhalte zu melden. Seit Mitte Mai 2024 hat Deutschland mit dem Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) seine bisherigen nationalen Regelungen an die EU-weiten DSA-Vorschriften angepasst. 

Deutschland im internationalen Vergleich

Im weltweiten Vergleich gilt Deutschland zweifellos als demokratischer Rechtsstaat mit großer Meinungsfreiheit. In internationalen Rankings zur Presse- und Meinungsfreiheit belegt die Bundesrepublik regelmäßig einen der vorderen Plätze – so etwa Rang 10 im globalen Pressefreiheitsindex 2024 von „Reporter ohne Grenzen“. Rund um den Erdball haben Staaten unterschiedliche Wege gefunden, um im Internet das gleiche Recht durchzusetzen, das offline gilt. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern unterliegen in Deutschland die möglichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit einer sorgfältigen juristischen Prüfung und müssen mit dem Grundgesetz vereinbar sein.