„So weit wie möglich über den Tellerrand schauen“
Kreativität ist keine Magie. Software Engineer Matthias Koch erklärt, wie gute Ideen entstehen.
Matthias Koch ist promovierter Informatiker und leitet die Abteilung „Digital Innovation Design“ am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering in Kaiserslautern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützen dort Unternehmen bei Problemen aller Art – von der kreativen Ideenfindung bis hin zur technischen Umsetzung.
Herr Koch, wie kommt man auf gute Ideen?
Der erste wichtige Schritt ist die Erkenntnis, dass es nicht reicht, sich hinzusetzen, zu warten und zu hoffen. Auf gute Ideen zu kommen, heißt bei uns, einen Prozess zu befolgen. Grundsätzlich ist der erste Schritt, Problem und Ziel zu verstehen. Das Zweite ist: sich Inspiration holen und dabei auch weit über den Tellerrand hinausschauen. Wenn wir zum Beispiel ein Problemfeld in der Produktion von Autos haben, dann schauen wir auch auf Branchen wie die Pharmazie oder die Holzwirtschaft und stellen die erstmal fernliegende Frage, wie die denn Produkte herstellen. Das kann ergiebig sein. Ganz oft geht es darum, von den Guten „zu klauen“, sich inspirieren zu lassen und zu schauen, was sich auf das eigene Produkt übertragen lässt.
Wie sieht das konkret aus?
Wenn man auf digitale Ökosysteme wie zum Beispiel das Vermietungsportal Airbnb schaut, stellt man fest: Die besitzen keine einzige Wohnung selbst, aber bringen diejenigen, die Wohnungen haben, mit denjenigen zusammen, die reisen wollen. Spotify produziert selbst keine Musik, bringt aber Musikerinnen und Musiker mit Musikfans zusammen. Das ist ein Trend, den man überall sieht, auch bei weniger bekannten Unternehmen. Schüttflix vermittelt Schüttgut wie Kies und Schotter für die richtige Zeit und den richtigen Ort. Kawaloo ist eine Art Airbnb für Lagerräume. Ein schönes Beispiel: Man merkt, dass es einen Bedarf an kurzfristigen Lagerräumen für Firmen gibt und überlegt, wie es zum Beispiel Reisende machen, die kurzfristig eine Wohnung brauchen.
Wir als Fraunhofer-Institut fragen uns in unserer Arbeit mit Unternehmen oft: Was machen innovative Firmen oder digital fortschrittliche Länder wie Estland und was davon können wir davon auf unsere Projekte übertragen?
Sie helfen Unternehmen dabei, sich für die Zukunft zu rüsten und geben Kreativworkshops. Welche Methoden wenden Sie da an?
Wir nutzen etwa die 6-5-3 Brainwriting-Methode. Da geht es darum, nacheinander jeweils drei Ideen in fünf Minuten zu sechs individuell ausgewählten Themenfeldern aufzuschreiben. So entstehen sehr viele Vorschläge. Wir haben auch ein Kartenspiel entwickelt, die „InnoCards“, die durch verschiedene inspirierende Karten und einem einfachen Regelwerk zu neuen Ideen führen. Wir arbeiten mit Spielzeug wie Playmobil. Die Kunden bauen damit spielerisch Szenarien auf. Auch Knete kann ein Kreativitätsbeschleuniger sein. Die Methoden folgen immer dem Muster, erst ganz breit zu werden und sich zu inspirieren und das dann zu der einen richtigen Lösung oder der einen guten Idee zu konvergieren. Natürlich gehört es bei so viel Kreativität dazu, dass auch weniger passende Ideen dabei sind.
Wann kommen Technologie und Software ins Spiel?
Das mag vielleicht überraschen, aber unser Ansatz als Software-Institut ist es, den Menschen an die allererste Stelle zu rücken und nicht die Technologie. Die Technologie muss das ermöglichen, was man sich vorher ausgedacht hat. Es sollte nicht so sein, dass man eine Technologie hat und sagt: Jetzt suchen wir für die tolle Technologie noch ein passendes Problem. Wir kommen vom Problem her und dann folgt irgendwann ein Punkt, an dem wir sagen: Das könnte eine Lösung sein. Dann lassen wir den Kreativitätsteil hinter uns und übergeben an die Ingenieure, die eine passende Technologie entwickeln. Aber wir forschen auch dazu, wie Technologie in kreativen Prozessen eingesetzt werden kann, wie etwa künstliche Intelligenz und Large Language Models bei der Gestaltung von Lösungen helfen können.