Pro & Contra
Dem Tempo Grenzen setzen?
Ein Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen? Hier tauschen eine Befürworterin und ein Gegner dieser Idee ihre Argumente aus.

Kann das Tempolimit einen Beitrag zu Umwelt- und Klimaschutz leisten?

Ja. Ein Tempolimit ist sogar die wichtigste und effektivste Klimaschutzmaßnahme im Verkehrsbereich, es wirkt sofort und ist kostengünstig. Das Umweltbundesamt (UBA) hat in einer aktuellen Studie die Klimawirkung von Tempolimits berechnet. Ein Tempolimit auf Autobahnen und eine Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit außerorts auf 80 km/h kann bis zu 8,1 Prozent der Treibhausgas-Emissionen des Verkehrs einsparen. Damit kann die Lücke zum Erreichen der verbindlichen Klimaschutzziele im Verkehrsbereich bis 2030 allein durch ein Tempolimit um rund ein Drittel geschlossen werden. Auch aus Gründen des Umweltschutzes spricht alles für ein Tempolimit: Es reduziert den Ausstoß von gesundheitsschädlichen Stickstoffoxiden und Feinstaub.

Aus Sicht des AvD: nein. Autobahnen machen mit rund 13.200 km zwei Prozent des Gesamtstraßennetzes aus. Darauf werden aber ein Drittel der Gesamtfahrleistung von 600 Milliarden Kilometer abgewickelt. Obwohl 70 Prozent der Autobahnen keine Tempolimits aufweisen, sind nach aktueller Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) 83 Prozent der Fahrer auf den untersuchten Abschnitten ohne Limit mit weniger als 130 km/h unterwegs. Weitere zehn Prozent fahren zwischen 130 und 140 km/h. Nur etwa ein Prozent überschreitet 160 km/h. Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei 113,5 km/h. Dies lässt realistische Schlüsse auf den CO2-Ausstoß zu und reduziert die beispielsweise vom UBA prognostizierten Einsparpotenziale, die zwischen zwei und sechs Millionen liegen. Angesichts der jährlichen bundesdeutschen CO2-Emission von etwa 700 Millionen Tonnen würde Tempo 130 also den CO2-Ausstoß nur im Promillebereich senken.
Würde ein Tempolimit den Verkehr in Deutschland sicherer machen?

Ja. Ein generelles Tempolimit könnte jedes Jahr hunderte Verkehrstote und unzählige schwerste Verletzungen vermeiden. Überhöhte Geschwindigkeit ist eine der Hauptursachen für tödliche Unfälle. Dabei ist nicht nur das absolute Tempo entscheidend, sondern es geht auch um die großen Unterschiede zwischen sehr schnellen und langsameren Fahrzeugen. Ein Tempolimit würde diese Unterschiede minimieren und den Verkehr homogener und berechenbarer machen. Besonders auf Landstraßen, wo die meisten tödlichen Unfälle passieren, könnte eine Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h Menschenleben retten.

Der AvD setzt sich seit jeher für Verkehrssicherheit und die Vision Zero ein, also einen Straßenverkehr ohne Getötete und Schwerverletzte. Statistisch machten Unfälle mit Personenschaden auf Autobahnen 2023 einen Anteil von knapp sieben Prozent aus. 70 Prozent der Unfälle ereigneten sich innerorts und 24 Prozent auf Landstraßen. Ähnlich bei tödlich Verunglückten: Auf Autobahnen waren elf Prozent der Opfer zu beklagen, innerorts 32 Prozent und auf Landstraßen 58 Prozent. Die amtlichen Statistiken bringen 40 Prozent der Todesfälle auf Autobahnen mit der Unfallursache „nicht angepasste Geschwindigkeit“ in Verbindung. Diese Erklärung trifft aber auch bei Geschwindigkeiten unterhalb von 130 km/h zu, beispielsweise bei Nichterfassen der Verkehrssituation oder der Missachtung von Witterungsverhältnissen.
Könnte ein Tempolimit Staus und Lärm begrenzen?

Ja. Geschwindigkeitsunterschiede und damit verbundene Beschleunigungs- und Bremsvorgänge sind eine Hauptursache für Staubildung auf freier Strecke. Ein Tempolimit bewirkt eine Angleichung der Geschwindigkeiten, verbessert also den Verkehrsfluss und führt so zu deutlich weniger Stau. Auch gegen Lärm ist ein Tempolimit eine zentrale und kostengünstige Maßnahme, denn niedrigere Geschwindigkeiten führen zu geringeren Lärmemissionen: So reduziert etwa eine Senkung der Geschwindigkeit von 130 auf 100 km/h die wahrgenommene Lärmbelastung um 50 Prozent. Das ist deshalb so wichtig, weil Lärm nach Luftverschmutzung die zweitgrößte umweltbedingte Ursache für Gesundheitsprobleme ist. Er erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen und psychischen Stress. Da der Verkehr die größte Lärmquelle in Deutschland ist, könnte ein Tempolimit Millionen Menschen entlasten.

Der AvD geht nicht davon aus. Hauptursache von stockendem Verkehr und Staus sind zu viele Fahrzeuge zur gleichen Zeit auf einem bestimmten Streckenabschnitt. Etwa ein Drittel aller Staus auf Autobahnen entsteht durch und vor Baustellen. Der mangelhafte Ausbau der Autobahnen in vielen Ballungsräumen führt zu chronischer Überlastung. Laut Verkehrsforschern ist das der Grund für ein weiteres Drittel der Staus. Das letzte Drittel machen Unfälle aus. Ob ein Tempolimit aber weniger Unfälle zur Folge hat, ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Auch der mögliche Nutzen für den Lärmschutz ist fraglich, da bereits bei Landstraßentempo zwischen 80 bis 100 km/h das Abrollgeräusch der Reifen erheblich ist. Bauliche Maßnahmen wie die Verwendung von „Flüsterasphalt“ und die Errichtung von Lärmschutzwänden sind effektiver.
Unterm Strich: Pro oder Contra Tempolimit und warum?

Deutschland ist das letzte Industrieland der Welt ohne Tempolimit – ein Ausnahmefall, der längst nicht mehr zeitgemäß ist. Die Vorteile eines Tempolimits sind wissenschaftlich belegt, die Umsetzung wäre einfach, kostengünstig und hätte unmittelbare positive Effekte. Ein Tempolimit schützt das Klima und rettet Menschenleben. Zugleich reduziert es die Lärmbelastung und den Ausstoß gesundheitsschädlichen Feinstaubs und von Stickstoffoxiden.

Der AvD wendet sich gegen die ideologiegetriebene Forderung nach einem Tempolimit, denn das Einsparpotenzial für CO2 ist kaum vorhanden und ein fehlendes Tempolimit beeinträchtigt auch keine Grundrechte. Die Verkehrssicherheit wird nicht merklich erhöht, denn Autofahrer verhalten sich schon jetzt vernünftig und fahren der jeweiligen Situation angepasst. Mit starren Tempolimits lässt sich die Stausituation auf Autobahnen nicht beeinflussen, und ein generelles Tempolimit hilft auch nicht bei der Lärmbegrenzung.